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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Zweyter Band, welcher das vierte bis sechste Stück enthält.

Blicken. Dreymal erscholl der Chorgesang, dann begann das Opfer. Die schönste der Jungfrauen ging Hand in Hand mit dem edelsten Jüngling zum Altar, beyde warfen frischen Weirauch auf das Feuer und in starken Wogen drängten sich die Wohlgerüche empor. Leise begann nun wieder der liebliche Gesang, er stieg, ward ernst, Kraftvoll, Hymne, Dythyrambe. Die Göttin winkte mit einem Lilienscepter, welchen sie in der Hand trug, und immer leiser tönte der Gesang, bis er endlich ganz verhallte. Noch ein Wink und alles wendete sich plözlich gegen mich, ich werde eingeschlossen in den herrlichen Kreiß, der schönste Kranz strahlt auf meinem Haupte, Harfen und Flöten umsummen mich, tausend fröhliche Herzen schlagen in meinem Busen. Lächelnd erhebt sich nun die Erhabene von ihrem Throne, eilt auf mich zu durch den offnen Kreis, umarmt mich und giebt mir die süßesten, liebkosendsten Worte. Indem schallt eine rauhe Stimme aus der Ferne, das Licht im Dom verschwindet, es verschwindet, es verschwinden Altar, Thron, Chöre und Göttin, Finsterniß kehrt zurück, es wird still um mich her, ich zittere, es rauscht etwas an der Aussenseite des Doms, ich sinke ohnmächtig zur Erde.

Der Morgen brach an, ich wußte nicht, wo ich war, die Auftritte der vorigen Nacht hatten

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Zweyter Band, welcher das vierte bis sechste Stück enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1792, Seite 406. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Neue_Thalia_Band2_406.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)