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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Dritter Band, welcher das erste bis dritte Stück enthält.

Nach eben dieser Allegorie ist es die Schönheitsgöttinn allein, die den Gürtel des Reizes trägt und verleyht. Juno, die herrliche Königinn des Himmels, muß jenen Gürtel erst von der Venus entlehnen, wenn sie den Jupiter auf dem Ida bezaubern will. Hoheit also, selbst wenn ein gewisser Grad von Schönheit sie schmückt, (den man der Gattinn Jupiters keineswegs abspricht) ist ohne Anmuth nicht sicher, zu gefallen; denn nicht von ihren eignen Reizen, sondern von dem Gürtel der Venus erwartet die hohe Götterköniginn den Sieg über Jupiters Herz.

Die Schönheitsgöttinn kann aber doch ihren Gürtel entäußern und seine Kraft auf das Minder Schöne übertragen. Anmuth ist also kein ausschließendes Prärogativ des Schönen, sondern kann auch, obgleich immer nur aus der Hand des Schönen, auf das Minder-Schöne, ja selbst auf das Nicht-Schöne, übergehen.

Die nehmlichen Griechen empfahlen demjenigen, dem bey allen übrigen Geistesvorzügen die Anmuth, das Gefällige, fehlte, den Grazien zu opfern. Diese Göttinnen wurden also von ihnen zwar als Begleiterinnen des schönen Geschlechts

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Dritter Band, welcher das erste bis dritte Stück enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1793, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Neue_Thalia_Band3_116.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)