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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Dritter Band, welcher das erste bis dritte Stück enthält.

dem die Befriedigung ihres Bedürfnisses steht. Zuweilen scheint es zwar, als ob sie sich ihren Weg verkürzte, und, ohne zuvor ihr Gesuch vor den Willen zu bringen, unmittelbare Kausalität für die Handlung hätte, durch die ihrem Bedürfniße abgeholfen wird. In einem solchen Falle, wo der Mensch dem Triebe nicht bloß freyen Lauf ließe, sondern wo der Trieb diesen Lauf selbst nähme, würde der Mensch auch nur Thier seyn; aber es ist sehr zu zweifeln, ob dieses jemals sein Fall seyn kann, und wenn er es wirklich wäre, ob diese blinde Macht seines Triebes nicht ein Verbrechen seines Willens ist.

Das Begehrungsvermögen dringt also auf Befriedigung, und der Wille wird aufgefodert, ihm diese zu verschaffen. Aber der Wille soll seine Bestimmungsgründe von der Vernunft empfangen, und nur nach demjenigen, was diese erlaubt oder vorschreibt, seine Entschließung fassen. Wendet sich nun der Wille wirklich an die Vernunft, ehe er das Verlangen des Triebes genehmigt, so handelt er sittlich; entscheidet er aber unmittelbar, so handelt er sinnlich [1].


  1. Man darf aber diese Anfrage des Willens bey der Vernunft nicht mit derjenigen verwechseln [197] wo sie über die Mittel zu Befriedigung einer Begierde erkennen soll. Hier ist nicht davon die Rede, wie die Befriedigung zu erlangen, sondern ob sie zu gestatten ist. Nur das letzte gehört ins Gebiet der Moralität; das erste gehört zur Klugheit.
Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Dritter Band, welcher das erste bis dritte Stück enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1793, Seite 196. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Neue_Thalia_Band3_196.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)