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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Dritter Band, welcher das erste bis dritte Stück enthält.

Aber nicht bloß beim Leiden im engern Sinn, wo dieses Wort nur schmerzhafte Rührungen bedeutet, sondern überhaupt bey jedem starken Interesse des Begehrungsvermögens muß der Geist seine Freyheit beweisen, also Würde der Ausdruck seyn. Der angenehme Affekt erfodert sie nicht weniger als der peinliche, weil die Natur in beiden Fällen gern den Meister spielen möchte, und von dem Willen gezügelt werden soll. Die Würde bezieht sich auf die Form und nicht auf den Inhalt des Affekts, daher es geschehen kann, daß oft, dem Inhalt nach, lobenswürdige Affekte, wenn der Mensch sich ihnen blindlings überläßt, aus Mangel der Würde, ins Gemeine und Niedrige fallen; daß hingegen nicht selten verwerfliche Affekte sich sogar dem erhabenen nähern, sobald sie nur in ihrer Form Herrschaft des Geistes über seine Empfindungen zeigen.

Bey der Würde also führt sich der Geist in dem Körper als Herrscher auf, denn hier hat er seine Selbstständigkeit gegen den gebieterischen Trieb zu behaupten, der ohne ihn zu Handlungen schreitet, und sich seinem Joch gern entziehen möchte. Bey der Anmuth hingegen regiert er mit Liberalität, weil er es hier ist, der die Natur in Handlung setzt, und keinen Widerstand

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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Dritter Band, welcher das erste bis dritte Stück enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1793, Seite 205. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Neue_Thalia_Band3_205.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)