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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Vierter und letzter Band, welcher das vierte fünfte und sechste Stück enthält.

Meer und Erde schläft in der Schwüle des Mittags, und selbst die Quelle, die sonst hier unter mir rieselte, ist vertrocknet. Kein Lüftchen säuselt durch die Zweige. Ein leises Aechzen der Erde, wenn der brennende Strahl den Boden spaltet, hör’ ich zuweilen. Aber das stört wohl nicht. Auch giebt die Cypresse, die über mir trauert, Schatten genug.

Der Abend, da ich von ihr gieng, hatte mit der Nacht gewechselt, und die Nacht mit dem Tage; aber für mich nicht. In meinem Leben war kein Schlaf und kein Erwachen mehr. Es war nur Ein Traum von ihr, ein seeliger schmerzlicher Traum; ein Ringen zwischen Angst und Hoffnung. Endlich gieng ich hin zu ihr.

Ich erschrak, wie sie nun vor mir stand, so ganz anders, als in mir es aussah, so ruhig und seelig, in der Allgenügsamkeit einer Himmlischen. Ich war verwirrt und sprachlos. Mein Geist war mir entflohen.

Ich glaube nicht, daß sie es ganz bemerkte, wie sie überhaupt bey all’ ihrer himmlischen Güte nicht sehr genau darauf zu achten schien, was um sie vorgieng.

Sie hatte Mühe, mich dahin zurückzubringen, wo wir den Abend zuvor geendet hatten.

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Vierter und letzter Band, welcher das vierte fünfte und sechste Stück enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1793, Seite 197. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Neue_Thalia_Band4_197.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)