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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Vierter und letzter Band, welcher das vierte fünfte und sechste Stück enthält.

Moritz. Ich hoff’ es. – Es ist manchmahl eine Stunde, wo ich ruhiger bin, wo ich mich frage und verwundere. Aber ich habe keine Antwort, ich weiß und verstehe nichts davon. Wie kann man so verschieden seyn, so vielseitig, und doch wieder so Eins und so ganz? Wie kann so viel Wärme bey so viel Kaltsinn zusammen wohnen? Die Zartheit und Innigkeit dieses Gefühls bey diesem festen Sinn? – Du kennst mich, du hast mich geprüft. Hatte ich mit den Freuden des Lebens nicht abgerechnet? War ich nicht so ausgetrocknet, so geschäftig? Wie sprach ich von der Liebe, wie dachte ich, wie empfand ich mich! Und jetzt! – Das hat alles verwandelt und umgekehrt, wie der Schlag einer Zauberruthe. Der Streich, der Marien zur Wittwe machte, hat die Jahre der Erfahrung von mir abgestreift. Die ganze, frische Blüthe meines Lebens ist auf’s neue hervorgegangen: ich denke nicht, ich empfinde; ich handle nicht, ich genieße. – Was für ein seltsames, unzuverläßiges Geschöpf ist der Mensch! Ich begreife ihn nicht.

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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Vierter und letzter Band, welcher das vierte fünfte und sechste Stück enthält.. Leipzig 1793, Seite 271. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Neue_Thalia_Band4_271.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)