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zur Kammer, wo noch das Ehebett für sie und den Gefallenen stand. Die Kammerfrau that ihr das lange, mit schwarzen Thränen bestickte Scapulier an und knüpfte die mönchsartige Hüftschnur um den geschmeidigen Leib; sie aber hatte dessen nicht weiter acht. Erst als die Dienerin ihr zur Beschau den Metallspiegel vorhielt, fuhr sie wie aus Träumen auf. „Das sei Gott geklagt, der mich zur Wittwe machte!“ rief sie. „Ich habe doch darum nicht den Tod gefreit!“ Dann, mit rascher Hand den Gürtel lösend, schleuderte sie ihn von sich und zerriß das feierliche Gewand in einem Ruck von oben bis fast zum untern Saume: „Bring’ mir mein braunes Wollenkleid, das mag genügen!“ Und die erschrockene Dienerin schritt schweigend aus der Kammer, um den Befehl der strengen Herrin zu erfüllen.

Des Todten Sippe, da solches kund ward, sah die Wittib drob mit scheelen Augen an; Claus Lembeck aber hatte zu sich selber gesprochen: „Das ist das Weib für Deinen Rolf; die wird den flüggen Vogel halten!“ Er sah wohl, daß erst jetzt die Lebensfülle dieses Weibes sich völlig auszuwachsen begann: die blauen Gluhaugen ließ sie froh umherschweifen, und das wellige Goldhaar fiel ihr frei über den stolzen Nacken; doch so viele ihrer auch begehrten,

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Theodor Storm: Ein Fest auf Haderslevhuus. Berlin: Paetel, 1886, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Storm_Ein_Fest_auf_Haderslevhuus_112.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)