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     An jenem Tage war ich spät erst heimgekommen; freilich zum Schlafen früh genug; denn immer wieder stiegen die alten Mauern vor mir aus dem Boden: ich stand in dem umschlossenen Hofe und sah durch den gewölbten Thorweg auf das Haidetal hinaus: auf beiden Höhenseiten zogen sich jetzt dichte Eichenwälder bis drüben an den Aufstieg, wo ihre Kronen sich vereinten; der Mond stand am Himmel und beleuchtete dort ein stumpfes Thurmgemäuer; mir war, als sähe ich eine hohe Gestalt in die Haide hinabschreiten und dort verschwinden. Während von den Höhen das Rauschen der mächtigen Laubmassen, die der Sturm bewegte, an mein Ohr drang, hatte ich mich umgewandt; ich sah auf die langgestreckte Front des Hauses, dessen graue Mauern von einer Doppelreihe niedriger Fenster durchbrochen waren; in der Mitte unter einem spitzen Treppengiebel lag das hohe Hausthor, von welchem eine Steintreppe mit breiten Beischlägen auf den weiten Hof hinablief. – Schon wollte ich hinauf und in das Innere der Hauses treten; aber das Brausen des Sturmes wurde stärker, und ich sah plötzlich nichts, als nur den Sand in Wirbeln über einem leeren Absturz treiben.

     Die Bilder, welche in dieser Nacht in mir lebendig wurden, waren nicht nur Phantasiegemälde; in einem älteren Werke über die einstigen Herrensitze unseres Landes, das vor Jahren mir zur Hand gekommen

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Theodor Storm: Zur Chronik von Grieshuus. Berlin: Paetel, 1885 (2. Auflage), Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Storm_Zur_Chronik_von_Grieshuus_011.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)