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     – – Als ich am Morgen über den Hof ging, sprach ich zu einem Knechte: »Das war schlecht Wetter in der Nacht!« – »Ja, Herr, wie immer in den schlimmen Tagen,« entgegnete er und schritt vorüber. Ich schüttelte den Kopf; aber ich besann mich: wir schrieben den 24sten; so war der Wildmeister heute Nacht im Herrenhaus gewesen. Auch vernahm ich drinnen, daß heute der Tag sei, wo alle Jahr die alte Matten ihren Kirchgang halte; der Knecht aber, der bei ihrer Blindheit sie stets geleite, habe sich den Fuß vertreten. Also ging ich zu ihr, traf sie auch wohlgeputzet in der Gesindestube, mit neuem Fürtuch und schwarzem Käppchen, und bot ihr meine Dienste an.

     »Er will mit dem alten Weibe nach der Kirche?« frug sie; und als ich es bejahete: »So muß Er Geduld haben, Magister; denn so weite Wege gehe ich nur einmal in dem Jahr.« 

     »Ich habe schon Geduld,« sprach ich; »meine alte Mutter ist schwächer noch, denn Sie.« 

     Da sah sie mich mit ihren todten Augen an und lächelte, daß ihr altes Antlitz mir gar hold erschien; dann aber seufzte sie und sprach schier traurig und wie nur zu sich selber: »Du wirst auch Alle überleben, Kind.« 

     Und auf diese sonderliche Rede gab sie mir die Hand, und wir gingen den Kirchweg hinab. Der Herr Oberst hatte mir in seinem Wagen Raum geboten;

Empfohlene Zitierweise:
Theodor Storm: Zur Chronik von Grieshuus. Berlin: Paetel, 1885 (2. Auflage), Seite 98. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Storm_Zur_Chronik_von_Grieshuus_098.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)