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den Frühlingsmorgen reiten konnte; und wie ein Weib, ein schönes, zu ihm hinabstieg und ihm den Frühling in die Nacht hinunterbrachte.

     Nach dem Lesen waren wir in das gen Süden belegene Speisezimmer hinaufgestiegen, woselbst wir auch meinen Vetter, den Pastor, trafen, der erst zu Maitag sich sein Weib zur Pfarre holen wollte. Nach der Tafel liebte es der Herr Oberst, noch ein Stündlein mit uns zu conversiren; denn er war ein Mann von guter Erudition; und also geschahe das auch heute; der Junker Rolf stand neben seines Vaters Sessel, und ich merkete wohl, er hörte nicht, was hier geredet wurde.

     Der Oberst hatte ihn schon lang betrachtet: nun streckte er die Hand aus und schüttelte den Knaben: »Was sinnest Du, Rolf?« 

     Da sprach dieser, als habe er bei sich schon lang davon geredet: »Und wissen Sie, Papa? Schön ist sie gewesen und jung und hat ihn nimmer doch verlassen! Und als der König Enzio endlich dann begraben worden, ist dicht am Sarge eine ältliche Matrone hergewankt, und eine schneeweiße Strähne ist in ihrem langen dunklen Haar gewesen!« 

     Und nun ließ es ihm nicht Ruhe mehr; seine Augen glänzten, und er erzählte Alles, was er wußte, von dem König Enzio mit den goldnen Ringelhaaren; er schien es nicht zu fühlen, wie die schon kraftvolle Februariussonne in seinem eigenen Goldgelocke glühte.

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Theodor Storm: Zur Chronik von Grieshuus. Berlin: Paetel, 1885 (2. Auflage), Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Storm_Zur_Chronik_von_Grieshuus_102.jpg&oldid=- (Version vom 15.12.2022)