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den Affect hervorgerufen. – Oder ein Reflex ist dadurch gebahnt, dass die betreffende Muskelinnervation im Momente des ursprünglichen Affectes willkürlich intendirt wurde; so strebt Anna O. (Beob. I) im Schreckaffect den durch Drucklähmung bewegungslosen rechten Arm zu strecken, um die Schlange abzuwehren; von da an wird der Tetanus des rechten Armes durch den Anblick aller schlangenähnlichen Dinge hervorgerufen. Oder sie convergirt im Affecte stark mit den Augen, um die Uhrzeiger zu erkennen, und nun wird der Strabismus convergens einer der Reflexe dieses Affectes u. s. f.

Es ist dies die Wirkung der Gleichzeitigkeit, welche ja auch unsere normale Association beherrscht; es ruft jede Sinneswahrnehmung eine andere wieder in's Bewusstsein, welche ursprünglich zugleich mit ihr aufgetreten war; (das Schulbeispiel vom Gesichtsbilde und dem Blöcken des Schlafes u. dgl.).

Wenn nun mit dem ursprünglichen Affecte gleichzeitig ein lebhafter Sinneseindruck bestanden hatte, so wird dieser vom erneuten Affect wieder hervorgerufen, und zwar, da es sich dabei um die Entladung übergrosser Erregung handelt, nicht als Erinnerung, sondern als Hallucination. Fast alle unsere Beobachtungen bieten hiefür Beispiele. Ein solches ist es auch, wenn eine Frau einen schmerzlichen Affect durchlebt, während sie von einer Periostitis heftigen Zahnschmerz hat, und nun jede Erneuerung dieses Affectes, ja die Erinnerung daran eine Infraorbital-Neuralgie hervorruft u. dgl. m.

Dies ist die Bahnung abnormer Reflexe nach den allgemeinen Gesetzen der Association. Manchmal aber (freilich nur bei höheren Graden von Hysterie) liegen zwischen dem Affect und seinem Reflex wirkliche Reihen von associirten Vorstellungen; das ist die Determinirung durch Symbolik. Es sind oft lächerliche Wortspiele, Klangassociationen, welche den Affect und seinen Reflex verbinden; aber das geschieht nur in traumhaften Zuständen mit verminderter Kritik und liegt schon ausserhalb der hier betrachteten Gruppe von Phänomenen. In sehr vielen Fällen bleibt die Determinirung unverständlich, weil unser Einblick in den psychischen Zustand und unsere Kenntniss der Vorstellungen, welche bei der Entstehung des hysterischen Phänomens actuell waren, oft höchst unvollständig ist. Aber wir dürfen annehmen, dass der Vorgang demjenigen nicht ganz unähnlich sein wird, der uns in günstigeren Fällen klar ist.

Die Erlebnisse, welche den ursprünglichen Affect auslösten, dessen Erregung dann in ein somatisches Phänomen convertirt wurde,

Empfohlene Zitierweise:
Sigmund Freud, Josef Breuer: Studien über Hysterie. Franz Deuticke, Leipzig und Wien 1895, Seite 182. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Studien_%C3%BCber_Hysterie_182.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)