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Ich habe bisher von den Schwierigkeiten und der Technik der kathartischen Methode gehandelt und möchte noch einige Andeutungen hinzufügen, wie sich mit dieser Technik eine Analyse gestaltet. Es ist diess ein für mich sehr interessantes Thema, von dem ich aber nicht erwarten kann, es werde ähnliches Interesse bei Anderen erregen, die noch keine solche Analyse ausgeführt haben. Es wird eigentlich wiederum von Technik die Rede sein, aber diesmal von den inhaltlichen Schwierigkeiten, für die man den Kranken nicht verantwortlich machen kann, die zum Theil bei einer Hypnoid- und Retentionshysterie dieselben sein müssten wie bei den mir als Muster vorschwebenden Abwehrhysterien. Ich gehe an dieses letzte Stück der Darstellung mit der Erwartung, die hier aufzudeckenden psychischen Eigenthümlichkeiten könnten einmal für eine Vorstellungsdynamik einen gewissen Werth als Rohmaterial erlangen.

Der erste und mächtigste Eindruck, den man sich bei einer solchen Analyse holt, ist gewiss der, dass das pathogene psychische Material, das angeblich vergessen ist, dem Ich nicht zur Verfügung steht, in der Association und im Erinnern keine Rolle spielt. – doch in irgend einer Weise bereit liegt, und zwar in richtiger und guter Ordnung. Es handelt sich nur darum, Widerstände zu beseitigen, die den Weg dazu versperren. Sonst aber wird es gewusst, wie wir überhaupt etwas wissen können; die richtigen Verknüpfungen der einzelnen Vorstellungen unter einander und mit nicht pathogenen, häufig erinnerten, sind vorhanden, sind seinerzeit vollzogen und im Gedächtniss bewahrt worden. Das pathogene psychische Material erscheint als das Eigenthum einer Intelligenz, die der des normalen Ich nicht nothwendig nachsteht. Der Schein einer zweiten Persönlichkeit wird oft auf das täuschendste hergestellt.

Ob dieser Eindruck berechtigt ist, ob man dabei nicht die Anordnung des psychischen Materials, die nach der Erledigung resultirt, in die Zeit der Krankheit zurückverlegt, diess sind Fragen, die ich noch nicht und nicht an dieser Stelle in Erwägung ziehen möchte. Man kann die bei solchen Analysen gemachten Erfahrungen jedenfalls nicht bequemer und anschaulicher beschreiben, als wenn man sich auf den Standpunkt stellt, den man nach der Erledigung zur Ueberschau des Ganzen einnehmen darf.

Die Sachlage ist ja meist keine so einfache, wie man sie für besondere Fälle, z. B. für ein einzelnes, in einem grossen Trauma entstandenes Symptom dargestellt hat. Man hat zumeist nicht ein

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Sigmund Freud, Josef Breuer: Studien über Hysterie. Franz Deuticke, Leipzig und Wien 1895, Seite 252. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Studien_%C3%BCber_Hysterie_252.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)