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des Arztes haben als solches Surrogat zu genügen. Wird nun dieses Verhältniss der Kranken zum Arzt gestört, so versagt auch die Bereitschaft der Kranken; wenn der Arzt sich nach der nächsten pathogenen Idee erkundigen will, tritt der Kranken das Bewusstsein der Beschwerden dazwischen, die sich bei ihr gegen den Arzt angehäuft haben. Soviel ich erfahren habe, tritt dieses Hinderniss in 3 Hauptfällen ein:

1. Bei persönlicher Entfremdung, wenn die Kranke sich zurückgesetzt, geringgeschätzt, beleidigt glaubt oder Ungünstiges über den Arzt und die Behandlungsmethode gehört hat. Diess ist der am wenigsten ernste Fall; das Hinderniss ist durch Aussprechen und Aufklären leicht zu überwinden, wenngleich die Empfindlichkeit und der Argwohn Hysterischer sich gelegentlich in ungeahnten Dimensionen äussern können.

2. Wenn die Kranke von der Furcht ergriffen wird, sie gewöhne sich zu sehr an die Person des Arztes, verliere ihre Selbständigkeit ihm gegenüber, könne gar in sexuelle Abhängigkeit von ihm gerathen. Dieser Fall ist bedeutsamer, weil minder individuell bedingt. Der Anlass zu diesem Hinderniss ist in der Natur der therapeutischen Bekümmerung enthalten. Die Kranke hat nun ein neues Motiv zum Widerstand, welches sich nicht nur bei einer gewissen Reminiscenz, sondern bei jedem Versuch der Behandlung äussert. Ganz gewöhnlich klagt die Kranke über Kopfschmerz, wenn man die Druckprocedur vornimmt. Ihr neues Motiv zum Widerstand bleibt ihr nämlich meistens unbewusst, und sie äussert es durch ein neu erzeugtes hysterisches Symptom. Der Kopfschmerz bedeutet die Abneigung, sich beeinflussen zu lassen.

3. Wenn die Kranke sich davor schreckt, dass sie aus dem Inhalt der Analyse auftauchende peinliche Vorstellungen auf die Person des Arztes überträgt. Dies ist häufig, ja in manchen Analysen ein regelmässiges Vorkommnis. Die Uebertragung auf den Arzt geschieht durch falsche Verknüpfung (vgl. p. 55). Ich muss hier wohl ein Beispiel anführen: Ursprung eines gewissen hysterischen Symptoms war bei einer meiner Patientinnen der vor vielen Jahren gehegte und sofort in’s Unbewusste verwiesene Wunsch, der Mann, mit dem sie damals ein Gespräch geführt, möchte doch herzhaft zugreifen und ihr einen Kuss aufdrängen. Nun taucht einmal nach Beendigung einer Sitzung ein solcher Wunsch in der Kranken in Bezug auf meine Person auf; sie ist entsetzt darüber, verbringt eine schlaflose Nacht

Empfohlene Zitierweise:
Sigmund Freud, Josef Breuer: Studien über Hysterie. Franz Deuticke, Leipzig und Wien 1895, Seite 266. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Studien_%C3%BCber_Hysterie_266.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)