Seite:De Thalia Band1 Heft1 097.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Erster Band welcher das I. bis IV. Heft enthält

Zeitgenossen verderbe, steht noch immer in meiner Macht wieder gut zu machen, die Fehler des Jünglings rechnet man ja dem Mann nicht mehr an – aber die Nachwelt verdammt ohne Beklagten, ohne Sachwalter, ohne Zeugen. Das Werk lebt, und sein Schöpfer ist nicht mehr. Die Frist zur Verantwortung ist vorbei; was einmal verloren ist, läßt sich nicht mehr hereinbringen. Von diesem Gerichtshof läßt sich an keinen dritten mehr appellieren. Wie willkommen soll mir also die Zurechtweisung seyn, welche mir über die Gebrechen meiner Dichtung die Augen öfnet, und mir vielleicht dazu dienen kann, sie desto fleckenfreier der strengeren Zukunft zu übergeben – Findet der Kenner schon diese erste Anlage krank, vermißt er hier schon die Gesundheit, die lebendige Kraft, die ihr Dauer versicherte, so wandre die ganze Skize zum Feuer.

Die Geschichte des unglücklichen Dom Karlos und seiner Stiefmutter der Königin, ist von den interessantesten, die ich kenne, aber ich zweifle sehr, ob sie so rührend als erschütternd ist. Rührung, glaube ich, ist hier ganz nur Verdienst des Dichters, der unter den vielerlei Arten der Behandlung gerade diejenige zu wählen weiß, welche die widrige Härte des Stoffs zu weicher Delikatesse herabstimmt und mildert. Eine Leidenschaft, wie die Liebe des Prinzen, deren leiseste Aeuserung Verbrechen ist, die mit einem unwiederruflichen Religionsgesez streitet, und sich ohne Aufhören an der Gränzmauer der Natur

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Erster Band welcher das I. bis IV. Heft enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1785–1787, Seite 97. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band1_Heft1_097.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)