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Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Erster Band welcher das I. bis IV. Heft enthält

in die Achse des ewigen Ganzen. Liebe zielt nach Einheit, Egoismus ist Einsamkeit. Liebe ist die mitherrschende Bürgerin eines blühenden Freistaats, Egoismus ein Despot in einer verwüsteten Schöpfung. Egoismus sä’t für die Dankbarkeit, Liebe für den Undank. Liebe verschenkt, Egoismus leyht – Einerlei vor dem Tron der richtenden Wahrheit, ob auf den Genuß des nächstfolgenden Augenbliks, oder die Aussicht einer Märtyrerkrone – einerlei, ob die Zinsen in diesem Leben oder im andern fallen!

Denke dir eine Wahrheit, mein Raphael, die dem ganzen Menschengeschlecht auf entfernte Jahrhunderte wohl thut – seze hinzu, diese Wahrheit verdammt ihren Bekenner zum Tode, diese Wahrheit kann nur erwiesen werden, nur geglaubt werden, wenn er stirbt. Denke dir dann den Mann mit dem hellen umfassenden Sonnenblike des Genies, mit dem Flammenrad der Begeisterung, mit der ganzen erhabenen Anlage zu der Liebe. Laß in seiner Seele das vollständige Ideal jener großen Wirkung empor steigen – laß in dunkler Ahndung vorübergehen an ihm alle Glükliche, die er schaffen soll – laß die Gegenwart und die Zukunft zugleich in seinem Geist sich zusammendrängen – und nun beantworte dir, bedarf dieser Mensch der Anweisung auf ein anderes Leben?

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Erster Band welcher das I. bis IV. Heft enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1785–1787, Seite 128. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band1_Heft3_128.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)