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Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Zweiter Band welcher das V. bis VIII. Heft enthält
Iphigenie in Aulis – Teil 1

Die Tochter meines Bruders am Altar

575
um meiner Heurat willen hingeschlachtet,

nein, das erbarmt mich, wenn ich nur dran denke!
Was hat dein Kind mit dieser Helena
zu schaffen? Die Armee der Griechen mag
nach Hause gehn! Drum, lieber Bruder, höre

580
doch auf, in Thränen dich zu baden und

auch mir die Thränen in das Aug’ zu treiben.
Will ein Orakel an dein Kind – das hat
mit mir nichts mehr zu schaffen. Meinen Antheil
erlaß’ ich dir. Es siegt die Bruderliebe.

585
Entsag’ ich einem grausamen Begehren,

was hab’ ich mehr als meine Pflicht gethan?
Ein guter Mann wird stets das Beßre wählen.

Chor.
Das nenn’ ich brav gedacht und schön – und wie
man denken soll in Tantalus Geschlechte!

590
Du zeigst dich deiner Ahnherrn werth Atride!


Agamemnon.
Jezt redest du, wie einem Bruder ziemt.
Du überraschest mich. Ich muß dich loben.

Menelaus.
Lieb’ und Gewinnsucht mögen oft genug
die Eintracht stören zwischen Brüdern. Mich

595
hat’s jederzeit empört, wenn Blutsverwandte

das Leben wechselseitig sich verbittern.

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Zweiter Band welcher das V. bis VIII. Heft enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1788–1789, Seite 33. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band2_Heft6_033.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)