Seite:De Thalia Band2 Heft6 062.jpg

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Unter die weniger bekannten, aber desto dringernden Bedürfnisse der Menschheit im Ganzen gehört die Erhaltung der Energie bei einem hohen Grade der Verfeinerung. So lange der Trieb zur Thätigkeit bei einer Nation nicht erschlafft, hat sie bei ihrer vollkommensten Ausbildung nichts zu besorgen. Es ist Vorurtheil, die Ausartung eines Volks für ein unvermeidliches Schicksal einer alternden Cultur anzusehen. Die Geschichte der ältern und neuern Zeiten belehrt uns, daß die erhabensten Verdienste neben den wildesten Ausschweifungen des Luxus bestehen konnten, und daß selbst eine sinkende Nation so lange aufrecht erhalten wurde, als der Keim der Begeisterung bei ihren edleren Bürgern noch nicht völlig erstickt war. Das untrüglichste Kennzeichen des Verfalls ist Trägheit – Mangel an Empfänglichkeit für die Freude, die eine gelingende Anstrengung durch sich selbst gewährt. Diese Trägheit ist mit einem gewissen Frohndienste sehr vereinbar, den die Furcht vor Mangel oder Schande auflegt, und für den man sich in Stunden der Ruhe durch unthätiges Schwelgen zu entschädigen sucht. Der verzärtelte Mensch will seinen Genuß auf dem kürzesten Wege erlangen; er will ärndten, wo er nicht gesäet hat. Höhere Freuden, die nur durch Aufopferung oder Arbeit erkauft werden können, reizen ihn nicht, und dieß ist der Grund, warum er an innerm

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Zweiter Band welcher das V. bis VIII. Heft enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1788–1789, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band2_Heft6_062.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)