Seite:De Thalia Band2 Heft6 063.jpg

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Gehalte nicht in dem Verhältnisse gewinnt, wie sich der Reichthum seiner Ideen vermehrt. Es fehlt ihm an Kraft, diese Nahrung des Geistes zu verarbeiten. Der höchste Grad dieser Erschlaffung ist ein hektischer Zustand, ein allmähliges Absterben alles wahren Verdienstes. Aber nicht immer ist dieß Uebel unheilbar. Der Mensch ist oft schwach, weil er seine Kräfte nicht kennt. Er entbehrt oft die höhern Freuden, weil er sie niemals gekostet hat. Ihn zum Gefühl seines Werths zu erheben, und ihm durch würdigere Genüsse die niedrigen Befriedigungen der Eitelkeit und thierischen Sinnlichkeit zu verekeln, ist das wichtigste Geschäft der ächten Ausbildung, ohne welches alle übrige Cultur nur Flitterstaat ist. Und hier zeigt sich das wahre Verdienst der Kunst in seiner Größe. Sie erscheint in einer ehrwürdigen Gesellschaft – an der Seite der Religion und des Patriotismus.

Was diese drei mit einander gemein haben, ist die Bestimmung, Leidenschaft zu veredeln, ein Ziel, dessen sie sich nicht schämen dürfen. Der Mensch ist zu abhängig von den Gegenständen, die ihn umgeben, um der erhabenen Ruhe fähig zu seyn, die nur der Gottheit eigen ist. Leidenschaften waren von jeher ein Bedürfniß der Menschheit, und werden es auch in ihrem vollkommensten Zustande bleiben. Sie haben die schlummernden Keime der

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Zweiter Band welcher das V. bis VIII. Heft enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1788–1789, Seite 63. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band2_Heft6_063.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)