Seite:De Thalia Band2 Heft6 069.jpg

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einer wilden Phantasie, die oft auch den tolerantesten Kunstliebhaber empören. Diesem Uebel zu steuern, ohne die rechtmäßige Freiheit des Künstlers einzuschränken, ist ein Geschäft der ächten Cultur.

Es gibt nemlich eine Gränzlinie, die der Künstler eben so wohl aus ästhetischen, als aus moralischen Rücksichten nicht überschreiten darf. Er handelt wider sich selbst, wenn er das Interesse seines Kunstwerks zerstört. Und dieß geschieht, wenn die widrigen Empfindungen, die er erweckt, den Genuß überwiegen, auf dem der Werth seines Produkts beruhte. Was an sich selbst ein unverdorbenes Gefühl für Wahrheit und Moralität beleidigt, darf nur in so fern ein Gegenstand der Kunst werden, als es einer begeisternden Idee untergeordnet und zu ihrer lebendigen Darstellung nothwendig ist. Zwei Extreme sind hier zu vermeiden, Barbarei und Verzärtelung; zwischen beiden ist der Geschmack in seiner höchsten Vollkommenheit.

Dichterische Wahrheit fordert oft mit Recht eine gewisse Aufopferung der philosophischen. Seinem Ideale auch da noch getreu zu bleiben, wo dessen Darstellung an Karrikatur gränzt, ist eine schätzbare Kühnheit, ohne die besonders der Dichter die Wirkung des Erhabenen in leidenschaftlichen Schilderungen nie

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Zweiter Band welcher das V. bis VIII. Heft enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1788–1789, Seite 69. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band2_Heft6_069.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)