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Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Zweiter Band welcher das V. bis VIII. Heft enthält
Iphigenie in Aulis – Teil 2

ihr heller Verstand, der ihr so glücklich zu Hülfe kommt, ihr schreckliches Schicksal noch selbst von der lachenden Seite zu sehen, die sanft wiederkehrende Anhänglichkeit an Leben und Sonne – der ganze Charakter ist vortreflich. Clytemnestra – mag sie anderswo eine noch so lasterhafte Gattinn, eine noch so grausame Mutter seyn, darum kümmert sich der Dichter nicht – hier ist sie eine zärtliche Mutter, und nichts als Mutter; mehr wollte und brauchte der Dichter nicht. Die mütterliche Zärtlichkeit ist’s, die er in ihren sanften Bewegungen, wie in ihren heftigen Ausbrüchen schildert. Aus diesem Grunde finde ich die Stelle im fünften Akt, wo sie Iphigenien auf die Bitte: sie möchte ihren Gemahl nicht hassen: zur Antwort gibt: „O, der soll schwer genug an dich erinnert werden!“ eine Stelle, worin ihre künftige Mordthat vorbereitet zu seyn scheint, eher zu tadeln, als zu loben – zu tadeln, weil sie dem Zuschauer (dem griechischen wenigstens, der in der Geschichte des Hauses Atreus sehr gut bewandert war; und für den doch der Dichter schrieb) plözlich die andre Clytemnestra, die Ehebrecherinn und Mörderinn, in den Sinn bringt, an die er jezt gar nicht denken soll, mit der er die Mutter, die zärtliche Mutter gar nicht vermengen soll. So glücklich und schön der Gedanke ist, in demjenigen Stücke, worin Clytemnestra als Mörderinn ihres Gemahls erscheint, das Bild der beleidigten

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Zweiter Band welcher das V. bis VIII. Heft enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1788–1789, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band2_Heft7_058.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)