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Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Dritter Band welcher das IX. bis XII. Heft enthält.

Mächtige und verwegene Bürger stürzten den Staat in Verwirrung und strebten nach Unabhängigkeit.

Man warf endlich, um diesen Unruhen zu steuern, die Augen auf einen unbescholtenen und allgemein gefürchteten Bürger, dem die Verbesserung der Gesetze, die bis jetzt nur in mangelhaften Traditionen bestanden übertragen ward. Drako hieß dieser gefürchtete Bürger – ein Mann ohne Menschengefühl, der der menschlichen Natur nichts gutes zutraute, alle Handlungen bloß in dem finstern Spiegel seiner eignen trüben Seele sah, und ganz ohne Schonung war für die Schwächen der Menschheit; ein schlechter Philosoph und ein noch schlechterer Kenner der Menschen, mit kaltem Herzen, beschränktem Kopf, und unbiegsam in seinen Vorurtheilen. Solch ein Mann war vortrefflich, Gesetze zu vollziehen, aber sie zu geben konnte man keine schlimmere Wahl treffen.

Es ist uns wenig von den Gesetzen des Drako übrig geblieben, aber dieses Wenige schildert uns den Mann, und den Geist seiner Gesetzgebung. Alle Verbrechen strafte er ohne Unterschied mit dem Tode, den Müssiggang wie den Mord, den Diebstahl eines Kohls oder eines Schaafs, wie den Hochverrath und die Mordbrennerey. Als man ihn daher fragte, warum er die kleinen Vergehungen eben so streng bestrafe, als die schwersten Verbrechen, so war seine Antwort: „Die kleinsten Verbrechen sind des Todes würdig; für die Größern weiß ich keine andre Strafe, als den Tod – darum muß ich beide gleich behandeln.“

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Dritter Band welcher das IX. bis XII. Heft enthält.. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1790–1791, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band3_Heft11_056.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)