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Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Dritter Band welcher das IX. bis XII. Heft enthält.

Die Pracht des himmelan sich wölbenden Chors hat eine majestätische Einfalt, die alle Vorstellung übertrifft. In ungeheurer Länge stehen die Gruppen schlanker Säulen da, wie die Bäume eines uralten Forsts, am höchsten Gipfel nur in eine Krone von Aesten gespaltet, die sich mit ihren Nachbaren in spitzen Bogen wölbt, dem Auge, das ihnen folgen will, fast unerreichbar. Läßt sich schon nicht das Unermeßliche des Weltalls im beschränkten Raume versinnlichen, so liegt gleichwohl in diesem kühnen Emporstreben der Pfeiler und Mauern das Unaufhaltsame, welches die Einbildungskraft so leicht ins Gränzenlose verlängert. Die griechische Baukunst ist unstreitig der Inbegriff des Vollendeten, Edeln, Uebereinstimmenden, Beziehungsvollen, mit einem Worte: des Schönen. Hier indessen, an den gothischen Säulen, die, einzeln genommen, wie Rohrhalme schwanken würden, und nur in großer Anzahl zu einem Schaft vereinigt, Masse machen und ihren geraden Wuchs behalten können, unter ihren Bogen, die gleichsam auf nichts ruhen, lustig schweben wie die schattenreichen Wipfelgewölbe des Waldes, hier schwelgt der Sinn im Uebermuthe des künstlerischen Beginnens. Jene griechischen Gestalten scheinen sich an alles anzuschließen, was da ist, an alles, was menschlich ist; diese stehen wie Erscheinungen aus einer andern Welt, wie Feenpaläste da, um Zeugniß zu geben von der schöpferischen Kraft im Menschen die einen isolirten Gedanken bis aufs äußerste zu verfolgen, und das Erhabene, selbst auf einem excentrischen Wege, zu erreichen weiß. Es ist sehr zu bedauern,

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Dritter Band welcher das IX. bis XII. Heft enthält.. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1790–1791, Seite 84. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band3_Heft11_084.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)