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Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Dritter Band welcher das IX. bis XII. Heft enthält.

daß ein so prächtiges Gebäude unvollendet bleiben muß. Wenn schon der Entwurf, in Gedanken ergänzt, so mächtig erschüttern kann, wie hatte nicht die Wirklichkeit uns hingerissen.

Ich erzähle dir nichts von den berüchtigten heiligen drei Königen und dem so genannten Schatz in ihrer Kapelle, nichts von den Hautelissetapeten und der Glasmalerei auf den Fenstern im Chor, nichts von der unsäglichreichen Kiste von Gold und Silber, worinn die Gebeine des heiligen Engelberts ruhen, und ihrer wunderschönen ciselirten Arbeit, die man heutiges Tages schwerlich nachzuahmen im Stande wäre. Meine Aufmerksamkeit hatte einen wichtigern Gegenstand, einen Mann von der beweglichsten Phantasie und vom zartesten Sinne, der zum erstenmal in diesen Kreuzgängen den Eindruck des Großen in der gothischen Bauart empfand, und beym Anblick des mehr als hundert Fuß hohen Chors wie versteinert vor Entzücken war. O! es war köstlich, in diesem klaren Anschauen die Größe des Tempels noch einmal, gleichsam im Wiederschein, zu erblicken! Gegen das Ende unsers Aufenthalts weckte die Dunkelheit in den leeren, einsamen, von unsern Tritten wiederhallenden Gewölben, zwischen den Gräbern der Kurfürsten, Bischöffe und Ritter, die da in Stein gehauen lagen, manches schauerliche Bild der Vorzeit in seiner Seele. In allem Ernste, mit seiner Reizbarkeit und dem in neuen Bilderschöpfungen rastlosthätigen Geiste möchte ich die Nacht dort nicht einsam durchwachen. Gewiß entsetzest

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Dritter Band welcher das IX. bis XII. Heft enthält.. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1790–1791, Seite 85. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band3_Heft11_085.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)