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Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Dritter Band welcher das IX. bis XII. Heft enthält.

Hutten (nach einigem Stillschweigen) Könnt’ ich dir die Geschichte meiner Mißhandlungen erzählen, Angelika! – Ich kann es nicht. Ich will es nicht. Ich will dir die fröhliche Sicherheit, das süße Vertrauen auf dich selbst nicht entreißen. Ich will den Haß nicht in diesen friedlichen Busen führen. Verwahren möcht ich dich gegen die Menschen, aber nicht erbittern. Meine treue Erzählung wurde das Wohlwollen auslöschen in deiner Brust, und erhalten möchte ich diese heilige Flamme. Ehe sich eine neue und schönere Schöpfung von selbst hier gebildet hat, möchte ich die wirkliche Welt nicht von deinem Herzen reißen.

(Pause. Angelika neigt sich über ihn mit thränenden Augen.)

Ich gönne dir den lachenden Anblick des Lebens, den seligen Glauben an die Menschen, die dich jetzt noch gleich holden Erscheinungen umspielen; er war heilsam, er war nothwendig, den göttlichsten der Triebe in deinem Herzen zu entfalten. Ich bewundre die weise Sorgfalt der Natur. Eine gefällige Welt legt sie um unsern jugendlichen Geist, und der aufkeimende Trieb der Liebe findet, was er ergreife. An dieser hinfälligen Stütze spinnt sich der zarte Schößling hinauf, und umschlingt die nachbarliche Welt mit tausend üppigen Zweigen. Aber soll er, ein königlicher Stamm, in stolzer Schönheit zum Himmel wachsen – o dann müssen alle diese Nebenzweige ersterben, und der lebendige Trieb, zurückgedrängt in sich selbst, in gerader Richtung über sich streben. Still und sanft fängt die erstarrte Seele jetzt an, den verirrten Trieb von der wirklichen Welt abzurufen, und dem göttlichen Ideale,

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Dritter Band welcher das IX. bis XII. Heft enthält.. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1790–1791, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band3_Heft11_138.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)