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Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Dritter Band welcher das IX. bis XII. Heft enthält.

Blick, und der Ton seiner Ueberzeugung, weil er aus dem Herzen kam, drang unwiderstehlich ans Herz. Daher hat Rousseau immer entweder enthusiastische Bewundrer oder aufgebrachte Gegner gefunden, nach der verschiednen Beschaffenheit der Gemüther, welche die Flamme seiner Beredsamkeit entweder erwärmt oder versengt. Sein Emil hat im häuslichen Leben und in der Erziehung eine Revolution hervorgebracht: Seine Julie hat auf Denkungsart und Sitten des gesellschaftlichen Lebens mächtigen Einfluß gehabt: Es hat Gutes gewirkt, als er hofte, weil die Menschen besser sind, als er glaubte: Denn mit heiliger Ehrfurcht für des Menschen Würde sah er die Menschen unwiderbringlich verirrt und verloren im Labyrinth der gesellschaftlichen Verfassung: Allein durch den nemlichen Widerspruch, Kraft dessen er die Wissenschaften verdammte, und ihre glänzendste Zierde war, erklärt' er für unnatürlich und unheilbar den Stand der Gesellschaft, und gab Gesetze für die Staatsverfassungen. Aus seinem Lieblingszustande der ungebundenen Natur trug er über in sie den großen Lehrsatz der ursprünglichen Gleichheit; keine Schimäre, wenn er recht verstanden wird, weil er mit der Ungleichheit der Fähigkeiten bestehn kann, und die Einzige Grundlage guter Verfassungen, weil die natürliche Ungleichheit der Mittel, Gleichheit der Rechte um so nothwendiger macht. Niemals ahndete Rousseau, daß er seinen gesellschaftlichen Vertrag für Frankreich geschrieben

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Dritter Band welcher das IX. bis XII. Heft enthält.. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1790–1791, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band3_Heft12_055.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)