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Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Dritter Band welcher das IX. bis XII. Heft enthält.

seyn. Nähere Bestimmung des Begrifs, den wir mit dem Endzweck der Kunst verbinden, und Winke, von demjenigen, was der heutige Künstler uns gewährt, werden unsere Behauptung in ein helleres Licht setzen.

     Das Kunstwerk im Verhältnis zu seinem Urheber ist die Schöpfung seiner individuellen Kräfte in einer schon gegebenen Materie; Umwandlung derselben nach den Bildern, welche seine Phantasie, vom Anschauen geschwängert, als ihre geistigen Kinder gebahr; empfangener Eindrücke Darstellung im Aeußern. Dieser sittliche Bildungstrieb ist wie der physische in jedem einzelnen Menschen von höchstverschiedener Intension, und überdies entwickelt er sich anders in jedem, nach der mannichfaltigen Verschiedenheit des äusseren Verhältnisses. In manchem Griechen gieng vielleicht ein Lysander oder Apelles nur darum verloren, weil er nicht als Alexanders Zeitgenosse die Hallen und Tempel in Athen durchwandelte; dahingegen auch mitten im Genuße des attischen Ideenreichthums ein schwacher Kunsttrieb in unfruchtbarer Ruhe dahin starb. Intension der wirkenden Kräfte, Zartheit und Schärfe des äussern und innern Sinnes und höchste Perfectibilität des dienenden Mechanismus der Gliedmassen, mit einem Worte, die sittliche und physische Vollkommenheit des Künstlers, ist folglich nur das erste Erfordernis der Kunst. Er empfinde lebhaft, empfange zahllose Eindrücke und setze sie schöner zusammen; seine

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Dritter Band welcher das IX. bis XII. Heft enthält.. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1790–1791, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band3_Heft9_094.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)