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Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Dritter Band welcher das IX. bis XII. Heft enthält.

künstliche Hand gehorche willig dem schaffenden Triebe und ihr materielles Gebilde versinnliche treu und vollkommen das Geschöpf seiner Phantasie: wenn die Natur, aus welcher er schöpfen muß, ihm ihre schönsten Formen vorenthält, verloren ist dann alle seine Mühe.

     Wir wollen nicht hinabsteigen in die Tiefen der Metaphysik, um dort zu erfragen, was Schön genannt zu werden verdiene. Das Wesentliche der Empfindung reicht über die Gränze der messenden und vergleichenden Vernunft hinaus. Die verschiedene Brechbarkeit der Lichtstralen erklärt uns eben so wenig, wie die Vorstellung ihrer verschiedenen Farben in uns entsteht, als die logische Definition des Schönen jenes untheilbare, ihm immanente Wirken in einen für dasselbe geschaffenen Sinn. Mit dem Schönen verbrüdert sind die Begriffe des Ganzen, Harmonischen, Vollkommenen. Diese Verhältnisse beschäftigen den Verstand; er findet die Schönheit in ihrer Mitte; aber lange zuvor fand sie das Herz und schmolz in namenlosem Entzücken. So umschweben Cytheren die Grazien und Nymphen; doch wehe dem, der nur an ihren Gespielinnen die Göttin erkennt! Um die Schönheit zu empfinden, müssen wir sie anschauen in der Natur oder im Wercke des Künstlers; wenn wir hingegen von ihr reden, bezeichnen wir nur die Verhältnisse der begleitenden Erscheinungen. Demzufolge ist die Empfindung des Schönen die reinste, wenn ihr Gegenstand ein Ganzes bildet, das durch seine inneren

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Dritter Band welcher das IX. bis XII. Heft enthält.. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1790–1791, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band3_Heft9_095.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)