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Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Dritter Band welcher das IX. bis XII. Heft enthält.

Jünglings ideenreiche Blüthe der Gefühle, des Mannes richtenden Ernst und des Greises Gewohnheitsspiel in jenem großen Zirkel wiederzufinden? Wenigstens wäre es nicht ungereimt, an endlichen Dingen, die Punkte des Werdens und der Auflösung bestimmen, oder mit den Phänomenen der Geschichte ein hypothetisches Gerippe bekleiden und zu einem möglichen Ganzen verbinden zu wollen. Doch es ist mehr als Hypothese, dem Forscher wird es wahr, daß auf jenen edlen Zeitpunkt, da das Feuer der Begeisterung die Menschheit ergriff, ihr Sinn sich aufschloß dem Schönen, sich nährte von den Rhapsodien des Dichters und des plastischen Künstlers – die größte aller Veränderungen in ihr erfolgte. Die Kunst ward die Pflegerin der Wissenschaft. Das schöne Ebenmaas ihrer Bilder erzeugte jene abgezogenen Begriffe, mit denen der Mensch das Sinnenall umfaßte und bald auch die unabsehbaren Gefilde der intellektuellen Sittenwelt durchdrang. Wo der Künstler innig gefühlt, kühn geahndet und glücklich dargestellt hatte, dort bestimmte nun der Denker die Regeln des Vollkommenen, der Symmetrie und Übereinstimmung, dort abstrahirte er die ganze Kritik der Kunst. Jetzt also demonstrirte und begriff man die Tugend, das liebenswürdige Sittlichschöne, welches man bis dahin in dem Rhythmus des Sängers, in des Bildhauers oder des Malers Zauberwerken empfand. Allein indem der menschliche Geist sich seiner freyesten Thätigkeit und insbesondere die Vernunft sich ihrer höchsten Entwickelung nahte, gieng unvermerkt die ästhetische

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Dritter Band welcher das IX. bis XII. Heft enthält.. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1790–1791, Seite 101. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band3_Heft9_101.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)