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Eduard Suess begründet und ausgebaut und beherrscht noch bis in die Gegenwart die Grundvorstellungen in den meisten europäischen Lehrbüchern der Geologie. Suess prägte den kürzesten Ausdruck für den Inhalt dieser Theorie: „Der Zusammenbruch des Erdballs ist es, dem wir beiwohnen“ [12, Bd. 1, S. 778]. Wie ein trocknender Apfel durch den Wasserverlust des Innern faltige Runzeln an der Oberfläche bekommt, so sollen sich durch die Abkühlung und damit verbundene Schrumpfung des Erdinnern die Gebirgsfalten an der Oberfläche bilden. Infolge dieses Zusammensinkens der Kruste soll ein allgemeiner „Gewölbedruck“ in der Rinde herrschen und bewirken, daß einzelne Teile als Stufen oder Horste stehenbleiben, gewissermaßen getragen von diesem Gewölbedruck. Im weiteren Verlauf können dann diese zurückgebliebenen Teile wiederum den anderen in der Sinkbewegung vorauseilen, und was Festland war, kann Meeresboden werden und umgekehrt in beliebig oft wiederholtem Wechsel, eine Vorstellung, die von Lyell begründet wurde und auf die Tatsache zurückgeht, daß man fast überall auf den Kontinenten Ablagerungen früherer Meere vorfindet. Man kann dieser Theorie das historische Verdienst nicht absprechen, lange Zeit hindurch eine ausreichende Zusammenfassung unseres geologischen Wissens gebildet zu haben. Und wegen dieser langen Zeit ist die Kontraktionstheorie auf eine große Menge von Einzelergebnissen der Forschung mit solcher Folgerichtigkeit angewendet worden, daß sie noch heute in ihrer großzügigen Einfachheit des Grundgedankens und der Vielgliedrigkeit seiner Anwendungen etwas Bestechendes hat.

     Seit der großartigen Zusammenfassung, die das geologische Wissen von der Erde durch das vierbändige Werk von Eduard Suess „Das Antlitz der Erde“ vom Gesichtspunkt der Kontraktionstheorie erfuhr, haben sich indessen die Zweifel an der Richtigkeit der Grundvorstellung immer mehr gehäuft. Die Vorstellung, daß alle Hebungen nur scheinbar seien, nämlich nur in einem Zurückbleiben hinter dem allgemeinen Hinstreben der Kruste zum Erdmittelpunkt beständen, wurde durch den Nachweis absoluter Hebungen widerlegt [71]. Die Vorstellung von einem ständig und überall wirkenden Gewölbedruck, schon theoretisch von Hergesell [124] für die oberste Rindenschicht widerlegt, erwies sich als unhaltbar, da der Bau von Ostasien und die ostafrikanischen Grabenbrüche umgekehrt auf Zugkräfte in großen Teilen der Erdrinde schließen ließen. Die Auffassung der Gebirgsfaltungen als Rindenrunzelung

Empfohlene Zitierweise:
Alfred Wegener: Die Entstehung der Kontinente und Ozeane. Braunschweig: Friedr. Vieweg & Sohn Akt.-Ges., 1929, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wegener_Kontinente_009.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)