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ihr reziproken „Fluidität“. Diese Zähigkeit hat die Dimension g/cm.sec. Leider kann man nicht mit Sicherheit von der Riegheit auf die Zähigkeit schließen, sondern diese muß durch besondere Untersuchungen bestimmt werden. Nun sind diese Zähigkeitsmessungen an sogenannten festen Körpern äußerst schwierig. Auch im Laboratorium, wo man dazu die Dämpfung elastischer Schwingungen oder die Deformationsgeschwindigkeit bei Biegung oder Torsion oder auch die Messung der sogenannten Relaxationszeit benutzt, sind sie erst an sehr wenigen Stoffen durchgeführt worden. Und über den Zähigkeitskoeffizienten der Erde sind wir leider einstweilen in einer fast hoffnungslosen Weise im unklaren. Es sind zwar in neuerer Zeit verschiedene Versuche gemacht worden, diesen Zähigkeitskoeffizienten teils als Mittel für die ganze Erde, teils für gewisse Schichten abzuschätzen, aber die Ergebnisse gehen in dem Maße auseinander, daß wir nur unsere völlige Unkenntnis feststellen können.

     Mit Sicherheit läßt sich nur sagen, daß sich die Erde kurzperiodischen Kräften wie den Erdbebenwellen gegenüber wie ein fester, elastischer Körper verhält; hier tritt die Fließfähigkeit nicht in Erscheinung. Dagegen muß sich die Erde Kräften gegenüber, die geologische Zeiten hindurch andauern, wie eine Flüssigkeit verhalten, wie z. B. daraus hervorgeht, daß ihre Abplattung gerade ihrer Rotationsdauer angepaßt ist. Aber wo die Zeitgrenze zu suchen ist, bei der die elastischen Deformationen durch fließende abgelöst werden, hängt eben vom Zähigkeitskoeffizienten ab.

     G. H. Darwin nahm bei seiner Untersuchung über die Mondablösung an, daß schon die 12- und 24stündigen Gezeitenkräfte zu Fließbewegungen Anlaß geben, und von zahlreichen anderen Autoren ist diese Hypothese angewendet worden. In einer neueren Untersuchung kommt Prey [60] allerdings zu dem Ergebnis, daß die Darwinschen Annahmen nicht zu der Konsequenz führen, daß etwa heute noch die Erdrinde durch die Flutreibung merkliche Verschiebungen nach Westen erfährt. Vor 50 bis 60 Millionen Jahren mag der Zähigkeitskoeffizient noch den verhältnismäßig geringen Betrag von etwa 1013 (etwa die gleiche Zähigkeit hat Gletschereis) gehabt haben, und damals, meint Prey, seien daher große Verschiebungen der Rinde vorgekommen. Aber seitdem müsse der Zähigkeitskoeffizient so zugenommen haben, daß heute solche Verschiebungen ausgeschlossen seien. Dazu ist freilich zu bemerken, daß Darwin noch nicht den Radiumgehalt der Erdrinde in Betracht

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Alfred Wegener: Die Entstehung der Kontinente und Ozeane. Braunschweig: Friedr. Vieweg & Sohn Akt.-Ges., 1929, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wegener_Kontinente_055.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)