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ziehen konnte. Prey nimmt trotz des Radiums eine fortschreitende Abkühlung an. Aber es erscheint doch nach unserer heutigen Kenntnis der vorhandenen Radiummengen und auch nach den geologischen Tatsachen sehr fraglich, ob im Laufe der geologischen Zeiten, die auf erheblich größere Länge geschätzt werden, sich der Zähigkeitskoeffizient der Erde, von Schwankungen abgesehen, überhaupt systematisch in merkbarer Weise geändert hat.

     Von geologischer Seite ist oft eine Magmaschicht unter der festen Erdrinde angenommen worden, und ähnlich glaubte Wiechert gewisse Eigentümlichkeiten bei den Erdbebenregistrierungen durch eine solche ziemlich leichtflüssige Schicht erklären zu können. Hiergegen wendet sich Schweydar [61] auf Grund der meßbaren Gezeiten der festen Erde. Wäre nämlich die Fluidität merklich an diesen beteiligt, so müßten sie hinter Sonne und Mond nachhinken. Da die Beobachtungen aber kein solches Zurückbleiben zeigen, muß der beobachtete Betrag der Gezeiten ganz durch Elastizität, und gar nicht durch Fluidität verursacht sein. Die Fehlergrenze der Beobachtungen liefert so wenigstens einen Grenzwert des Zähigkeitskoeffizienten, der allerdings je nach der Dicke der Schicht, für die er angenommen wird, verschieden ausfällt. Denn eine leichtflüssige dünne Schicht leistet die gleichen Verschiebungen wie eine zähflüssige Schicht von entsprechend größerer Dicke. So findet Schweydar, daß der Zähigkeitskoeffizient größer als 109 sein muß, wenn es sich nur um eine 100 km dicke Schicht handelt, dagegen größer als 1013 oder 1014, wenn diese Schicht 600 km dick ist. Allerdings ist dabei noch die Voraussetzung wesentlich, daß es sich um eine zusammenhängende, die ganze Erde umkleidende Schicht handelt. Abgeschlossene kleinere Partien des Erdkörpers könnten erheblich flüssiger sein.

     Einen weiteren Versuch, die Zähigkeit der Erde zu ermitteln, hat Schweydar 1919 in seiner Untersuchung über die Polbewegung [62] gemacht. Er berechnete nämlich rückwärts, wie die Polschwankungen ausfallen müßten, wenn der halbe Zähigkeitskoeffizient der Erde die Werte 1011, 1014, 1016, 1018 hätte, und fand, daß bei den ersten beiden Werten überhaupt nur eine etwa 80jährige Periode der Polbewegung auftreten kann. Erst bei den größeren Werten tritt an deren Stelle eine kurze Periode von 470 bis 370 Tagen, also von der Art der wirklich vorhandenen. Natürlich kommt es auch hier wieder darauf an, wie dick man die zähflüssige Schicht annimmt. Betrachtet man die ganze Erde als gleichmäßig

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Alfred Wegener: Die Entstehung der Kontinente und Ozeane. Braunschweig: Friedr. Vieweg & Sohn Akt.-Ges., 1929, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wegener_Kontinente_056.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)