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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

geboren) entstammte einem damals in Württemberg hochangesehenen und um die ständische Verfassung hochverdienten Hause, dem des Landschaftskonsulenten Johann Wolfgang Hauff (1721–1801), desselben, dem sein Enkel Wilhelm in der Novelle „Jud Süß“ als Landschaftskonsulent Lanbeck ein ehrendes Denkmal gesetzt hat. Die Familie unseres Dichters, ursprünglich dem niederösterreichischen Landadel angehörig, hatte sich schon frühzeitig dem protestantischen Glauben zugewandt und war infolgedessen genötigt gewesen, während der Wirren des Religionskrieges im 17. Jahrhundert die heimatlichen Besitzungen zu verlassen und im protestantischen Württemberg eine sichere Zufluchtsstätte zu suchen. Hier war die Familie durch die Verdienste ihrer rechtlichen, freidenkenden Mitglieder bald zu neuem Ansehen gelangt.

Wilhelms Vater, damals Regierungssekretär in Stuttgart, vermählte sich am 27. August 1799 mit Hedwig Wilhelmine Elsäßer, der phantasiebegabten, an Goethes herrliche Mutter erinnernden Tochter des hervorragenden Juristen Karl Friedrich Elsäßer aus Stuttgart, der anfangs Professor in Erlangen war, dann an die Karlsschule, später ins Regierungskollegium und endlich an das Obertribunal nach Tübingen berufen wurde.

Am 22. August 1800 wurde den jungen Gatten ein Sohn geboren, der später gleichfalls als Schriftsteller verdiente Hermann Hauff. 1802 folgte dann Wilhelm, und später ward die Familie noch um zwei Töchter vermehrt. Doch sollte das Leben dieser stillen, freundlichen Häuslichkeit nicht ungetrübt bleiben. Der Vater, eine gewinnende Erscheinung von liebenswürdigem Benehmen und festem, ehrenwertem Charakter, huldigte einer freien, selbständigen politischen Meinung und sprach seine Ansichten hierüber auch unbefangen und ohne Scheu aus. Die freisinnige Selbständigkeit aber machte ihn der allenthalben von solchem Sinne Unheil witternden Regierung verdächtig, auf einen Umsturz der alten Verfassung hinzuarbeiten, und so wurde er plötzlich während der Nachtzeit in seiner Wohnung verhaftet und nach dem Asperg gebracht. Neun Monate mußte er schuldlos hier verharren, bis ihm endlich gestattet wurde, in den Schoß seiner Familie zurückzukehren. Nun aber gestaltete sich seine Zukunft immer aussichtsreicher; 1806 wurde er Sekretär beim königlichen Oberappellationstribunal in Tübingen, wohin nun die Familie übersiedelte, 1808 folgte er jedoch wieder einem Rufe nach Stuttgart als Geheimsekretär im Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten; indessen bereits im nächsten Jahre wurde er hier den Seinen durch den Tod entrissen. Nun zog die Witwe mit den Kindern wiederum nach Tübingen, wo ihr ältester Sohn, Hermann, [3] schon seit der früheren Zeit im Hause seines Großvaters Elsäßer unter dem mütterlichen Einfluß von dessen alter Haushälterin, der Jungfer Sitzlerin, erzogen wurde. Hier war es nun auch, wo Wilhelm, der schwächliche und, wie es schien, weniger beanlagte Knabe, unter der zärtlichen und verständigen Erziehung der Mutter im engen häuslichen Kreise seine erste geistige Nahrung empfing und verwertete. Hier war es, wo er vereint mit seinem Bruder sich dem kindlichen Spiele mit den alten Folianten in des Großvaters reicher Bibliothek überließ, wo er noch „Hütten und Ställe erbaute für sich und sein Vieh“ aus jenen in Leder gebundenen Ungetümen, aus denen ihm später die Grundlage zu seinem „Lichtenstein“ erwuchs; hier war es, wo er seinem Bruder den Lessing an den Kopf geworfen, wo der Großvater ihn auf den Knieen geschaukelt, der liebe, gute Mann, den die harten Männer dann eines Tages in einen Schrank legten und mit schwarzen Tüchern zudeckten. Kurzum, hier wuchs der Knabe unter Spiel und Lernen heran, von hier nahm er die ersten lebhaften Jugendeindrücke mit hinüber ins Mannesleben, jene Eindrücke wilder Kinderlust und ersten Kindesschmerzes, die er später so unübertrefflich rührend und schön in den „Phantasien im Bremer Ratskeller“ schilderte. Nach des Großvaters Tode kam nun auch Hermann wieder in das mütterliche Haus zurück, schon jetzt, im Gegensatz zu Wilhelm, ein ernster, lerneifriger, stiller Knabe, der nur brockenweise einmal seinen Humor zum besten gab. Wilhelm war zwar mindestens ebenso eifrig wie sein Bruder, jedoch nicht in den Fächern, welche die Schule vorschrieb, sondern im Studium, oder besser im Verschlingen aller Bücher leichteren Gehaltes, deren er habhaft werden konnte. Und es ist sehr wahrscheinlich, wenn auch nicht gerade verbürgt sicher, daß jene Erzählung der Schulerlebnisse des Barons von Garnmacher in den „Memoiren des Satans“ eine Anekdote aus seinem eigenen Schulleben ist, da doch im übrigen die Schilderung von Garnmachers Jugend ganz treffend auf ihn selbst paßt; so z. B. wenn er sagt: „Ich genoß eine gute Erziehung, denn meine Mutter wollte mich durchaus zum Theologen machen; … ich hatte, was man einen harten Kopf nennt; das heißt, ich ging lieber aufs Feld, hörte die Vögel singen …, als daß ich mich oben in der Dachkammer … mit meinem Bröder, Buttmann, Schröder … abmarterte.“ Und ebenso: „Ich hatte in meinem elften Jahre den größten Teil der Ritter- und Räuber-Romane meines Vaterlandes gelesen.“ War auch das Gelesene an und für sich nutzlos, so hatte es doch wenigstens einen Vorteil für ihn, der seiner lebhaften Einbildungs- und Gestaltungskraft zu gute kam; und es zeigte sich schon hier das besonders

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 2–3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_008.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)