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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

ich muß es Müller sagen!“ In dieser Schmerzenszeit seiner eigenen Unfähigkeit trat nun noch ein Ereignis ein, dem er stets so hoffnungsfreudig entgegengeschaut hatte; während sein Leben zur Neige ging, schenkte ihm seine Gattin ein Töchterchen, das er vielleicht kaum einmal hat an sein Herz drücken können, wenn nicht schon zur Zeit der Geburt das Fieber seinen Sinn gänzlich verwirrt hatte. Am 18. November machte ein sanfter Tod seinem Leben ein Ende. In ganz Deutschland wurde das frühe Hinscheiden des jungen Dichters betrauert, der in so kurzer Zeit so viel Schönes gezeitigt hatte und noch zu so mancher köstlichen Perle Hoffnung gab. Die zahlreiche Begleitung, die er zu seiner letzten Ruhestätte fand, konnte den Mitlebenden ein Zeichen dafür sein, wie hoch der Verstorbene verehrt wurde. Sein Vetter Karl Grüneisen hielt in der Kirche eine würdige Trauerrede, Gustav Schwab sprach einige von ihm selbst verfaßte Strophen am Grabe. In den hervorragendsten Litteraturblättern der Zeit wurden ihm warme Nachrufe gewidmet; sein Freund Friedrich Haug und Ludwig Uhland dichteten Trauerhymnen auf sein frühes Hinscheiden. Vom Bildhauer Theodor von Wagner (1800–1880), einem Schüler Danneckers, wurde auf Anregung von Hauffs Freunden eine Büste des Verewigten entworfen.

Im Auftrage der Witwe, die am 6. Juni 1828 vom König von Württemberg ein Privilegium gegen den Nachdruck von Hauffs Schriften, auf 12 Jahre gültig, ausgestellt erhielt, unternahm G. Schwab eine Sammlung und Herausgabe der sämtlichen Schriften des Dichters, die 1830 in 36 Bändchen in der Brodhagschen Buchhandlung in Stuttgart erschienen. Unter seinem Nachlaß befand sich außer den oben erwähnten unzusammenhängenden Bruchstücken noch der Plan zum dritten Teile der Satansmemoiren, den später Döring bearbeitete, und Stücke einer humoristischen Reisebeschreibung.


So kurz auch das Leben Hauffs war, so war es doch, dank der gewaltigen politischen Umwälzungen und der lebendigen geistigen Strömungen jener Tage, ein erfahrungsreiches und geistig wechselvolles. In Anlehnung aber an eben diese Umwälzungen und Strömungen und in Einklang mit denselben stehend, müssen wir auch Hauffs ganze litterarische Stellung auffassen. Die große politische Zeit hatte auch auf das poetische Schaffen seine Einwirkung nicht verfehlt, wenngleich diese in den zwanziger Jahren, nach den unerquicklichen Verhandlungen des Wiener Kongresses, nach der erneuten Zerrissenheit des deutschen Vaterlandes [19] auch mehr ins Gegenteil von dem umschlug, zu dem sie während der Kriegsjahre selbst sich gestaltet hatte. Waren die großen Thaten aus wahrer Begeisterung für die Gegenwart hervorgegangen, so verlor man sich jetzt in eine falsche, erkünstelte, erträumte Begeisterung für eine ferne, längst verschollene Vergangenheit. Mit der politischen Reaktion zog auch die litterarische in Gestalt der späteren Romantik, der phantastischen Schwärmerei für die Naivetät des Mittelalters und der absichtlichen Deutschtümelei ein. Und doch hatte auch diese Schwärmerei in ihren Anfängen etwas Kräftiges, Schwungvolles; ihre erste Regung kann als eine Anknüpfung an die Genieperiode, als eine Wiederbelebung der Sturm- und Drangzeit, allerdings mit etwas mystisch frömmelnder Färbung, angesehen werden. Aber sie schloß sich nur zu bald an die kraftlosen Nachwehen jener Periode, an die faden Nachbildungen genialer Schöpfungen, wie des Werther und Götz, an. Gerade diese beiden Erstlingswerke Goethes hatten, wie wir wissen, eine endlose Reihe von Sudeleien zur Folge, die teils in Darstellung unnatürlicher Empfindungen, teils in Ritter- und Räubergeschichten aus dem späteren Mittelalter sich breit machten. Auf diesem Grunde fußten nun die Fouquéschen und Claurenschen Produkte; aber auch die besseren Sachen, die Werke der höher stehenden Romantiker, wie Tieck und Schlegel, und die der Schwäbischen Schule sind von ähnlichem Geiste durchdrungen, der freilich in unendlich viel reineren und edleren Formen zur Erscheinung kommt.

Mitten in dieser Zeit steht Wilhelm Hauff, und doch ist er keiner ihrer Richtungen und Schulen ganz oder vorwiegend zuzurechnen; von Geburt und Gefühl ein echter Schwabe, ist er doch von Bildung und Geschmack eigentlich ein Allerweltsmensch, auf den die ganze Zeit und jede der litterarischen Richtungen, die besten und die schlechtesten, Goethe so gut wie Cramer und Spieß, gewirkt haben. In seiner Jugend verschlang er, wie wir aus seinen Schilderungen selbst wissen, ohne Auswahl, was ihm in die Hände kam, und das waren besonders mit ihrem lockenden Köder die Schriften, die damals eben in aller Hände waren, die Schauerromane der Spieß und Cramer und die Schlüpfrigkeiten Claurens. Letzterer besonders stand damals im Vordergrunde der Modeschriftsteller und wußte alle Schichten der Bevölkerung offen oder versteckt mit seiner pikanten Würze zu ködern. Ihm verfiel auch Hauff, aber trotzdem er später so streng gegen ihn auftrat, hat er doch unbewußt manches von ihm in sich aufgenommen, sowohl einen Teil jener Würze, wie besonders die leichte Darstellungsart, die sich bei ihm namentlich im „Mann im Monde“ bemerkbar macht. Ebenso hat Hauff

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 18–19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_016.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)