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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

mehr in sich aufnahm, als er verdauen konnte. Und doch hat ihm diese Fülle, selbst die leichteste und seichteste Ware derselben, nichts geschadet; sie hat nur seinen empfänglichen Geist angeregt zu eigener Gestaltung und Schöpfung und seinem Stile jenen leichten Fluß verliehen, der uns dann über so manche Unebenheit in seinen eigenen Werken hinweggaukelt. Hauff ist Prosaiker, wir können ruhig sagen, nur Prosaiker, denn die wenigen Gedichte sind nur schwache Versuche, seine allerdings reine und wahre Empfindung in gebundene Rede zu fassen, und die zwei oder drei echten Perlen poetischer Dichtung sind vielleicht mehr einer zufällig glücklichen Stimmung als einem wirklich dichterischen Talent entsprungen; sie haben sich denn auch ihren Preis errungen, sie sind mit ihrer einfach schönen Melodie zum Gemeingut unseres Volkes geworden. Der eigentliche Glanzpunkt der Hauffschen Muse aber liegt in der Novelle, hier hat er wirklich Mustergültiges geleistet; Situationen und Charaktere, dem wirklich realen Leben entnommen, mit dichterischem Glanze umwoben, sind hier mit seinem eigensten Fühlen, zuweilen allerdings vom Geiste der Romantik angehaucht, in reiner Schöne dargestellt. Endlich besaß Hauff noch einen Zug, der ihn zum Liebling so manches seiner Leser gemacht hat, nämlich einen frischen, jugendlich kecken Humor, den er zumeist in leichter köstlicher Satire trefflich zu verwerten wußte, und mit dem er manche an sich trockene Schilderung so pikant zu würzen verstand. Doch betrachten wir die einzelnen Werke selbst.

Die Gedichte Hauffs, wie gesagt großenteils unbedeutend, weisen doch einzelne Erzeugnisse von hoher Schönheit auf. Zu diesen gehört gleich das erste hier mitgeteilte Gedicht, „Mutterliebe“, das in edelster Sprache eins der erhabensten menschlichen Gefühle mit reinster Empfindung zum Ausdrucke bringt. Von den folgenden Gedichten heben sich eigentlich nur noch drei vorteilhaft von den übrigen ab; es sind die zwei ganz ins Volk übergegangenen Lieder „Soldatenliebe“ und „Reuters Morgengesang“ und das Rätsel „Einst hieß man mich die schönste aller Frauen“, das auch schon die zeitgenössische Kritik als „ausgezeichnet nach Inhalt und Form“ in den Vordergrund stellte. Die meisten dieser Gedichte stammen aus den Studenten- und ersten Liebesjahren des Dichters und sind daher teils durch besondere Gelegenheiten im Leben der Burschenschaft entstanden, teils Ergüsse des liebebeglückten jungen Herzens. Die Entstehungszeit der meisten dieser Lieder in den Jahren 1820–24 gibt uns auch das Recht, sie als die ersten in weiteren Kreisen bekannten Kinder der Hauffschen Muse an die Spitze unserer Betrachtung zu stellen und sie mit um so mehr Rücksicht [23] als erste Versuche eines noch ungeübten und unentwickelten Talents zu betrachten.

Wir wenden uns nun zu dem zweiten, gleichfalls mehr aus Jugendeindrücken hervorgegangen Werkchen Hauffs, den Märchen, von denen zwar der dritte Teil erst kurz vor des Dichters Tode erschien, die aber dennoch ein volles Anrecht darauf haben, insgesamt zu seinen frühesten Schöpfungen gerechnet zu werden. Hier in diesen drei Sträußchen haben wir die ersten duftigen Blüten von Hauffs eigentlichster Begabung, von seinem Erzählertalent; hier hat er, was er selbst noch als Knabe, als Jüngling in sich aufgenommen, in einer Weise wieder zu Tage gefördert, für die ihm, dem selbst zwischen Jüngling und Manne stehenden, jung und alt noch heute und noch lange Zeit von Herzen dankbar sein wird. In einer reinen, ungekünstelten Sprache, ohne gesuchte Verwickelungen des Gegenstandes führt er hier die lauschende Kinderphantasie in die wunderbaren Gefilde von Tausendundeiner Nacht, ohne doch, mit fast nur einer Ausnahme, die Handlung in eine allzu graue Ferne zu verlegen. Wer unter uns erinnerte sich nicht noch jederzeit mit Freuden der eigenen Kindertage, wo man uns immer und immer wieder die spannende und lustige „Geschichte von Kalif Storch“ oder „von dem kleinen Muck“ und vom „Zwerg Nase“ erzählen mußte. Und wer hätte selbst in späteren Jahren nicht jederzeit gern einmal die Geschichte vom „jungen Engländer“, diese prächtige Satire auf unsere noch heute blühende Kleinstädterei, gelesen, wen hätte nicht in der „Geschichte Almansors“ die edel gefaßte, schlichte Gestalt des oft verhaßten Napoleons ergriffen, wen hätte nicht der tiefernste Kern der Sage vom „kalten Herzen“, dieser Perle der Hauffschen Märchen, wunderbar gerührt und befriedigt?

Die Einkleidung mehrerer dieser Märchen in eine allgemeine Rahmenerzählung hat Hauff seinen Vorbildern in der Erzählungskunst, der Scheherasade und dem Boccaccio, abgelauscht und besonders in der „Karawane“ und im „Scheik von Alessandria“ mit Glück und Gewandtheit durchgeführt. Die „Karawane“ endet mit einem ernsten, schönen Bilde des Edelmutes und der Freundschaft, der „Scheik von Alessandria“, dessen Wiedergabe mit den einzelnen Erzählungen wir uns leider hier versagen mußten, endet mit einem innigen Gemälde von Kindes- und Vaterliebe, das allein durch die überflüssige Breite der Unterredungen und der Schicksale der „jungen Leute“ etwas an seiner sonstigen einfachen Schöne verliert. Die umfassende Erzählung des dritten Märchenstraußes muß eigentlich als mißlungen bezeichnet werden. Hier hat sich Hauff nicht mehr die rechte Mühe gegeben, einen angemessenen Stoff

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 22–23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_018.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)