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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Das deine milden Züge still umschwebt,
Sind sie genaht, und deinem geist’gen Blick
Begegnen grüßend ihre lichten Augen,

40
Von Strahlen der Unsterblichkeit gefüllt.


     Sie segnen dich; von ihren heil’gen Lippen
Ertönt es wie der Äolsharfe Ton,
Wenn lieblich flüsternd durch die feinen Saiten
Der Hauch des Abends weht: „Geliebte Schwester,

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Wir denken deiner, und wir sind dir nah’,

Und segnend schweben wir um deine Tritte;
So oft dein Aug’ im schönen Morgenrot,
Im heitern Blau des Mittags sich ergeht,
Trifft uns dein Blick; siehst du den Wölkchen nach,

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Die in dem Meer der Abendröte segeln,

Dort schiffen wir; und auf des Mondes Strahl,
Der mild und freundlich in dein Fenster fällt,
Entschweben wir von deinem stillen Lager
Mit deinen Thränen nach den sel’gen Höhn.“

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     So flüstern sie und neigen sich herab,

Die Stirn der teuern Schlafenden zu küssen
Und dann beflügelt, eh’ sie schnell erwacht,
Eh’ ihre Augen die Erscheinung haschen,
Im milden Strahl des Mondes aufzuschweben

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Nach sel’gen Höhn. Ja dort, wo anders fände

Die Schwesterliebe ihre ew’ge Heimat?
So stürmisch nicht, nicht so voll hoher Worte
Wie Bruderliebe, doch nicht minder tief,
Gleicht sie dem Bergsee, der in heil’ger Stille

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Den Himmel und die friedlichen Gestade

Getreuer widerspiegelt als der Bergstrom,
Der Bild und Ufer in sein Bett begräbt.

     Ja, tief und selig ist die Schwesterliebe
Und zärter, rührender erscheint sie kaum,

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Als wenn sie über Gräbern noch sich findet,

Und Tote leben in der Schwester Traum.


[15]

Entschuldigung.

Kam einst ein englischer Kapitan
Zu Stambul in dem Hafen an,
Der wollte nach der langen Fahrt
Sich gütlich thun nach seiner Art,

5
Und in Stambuls krummen Gassen

Vor den Leuten sich sehen lassen.
Hatte auch weit und breit gehört,
Wie die Türken so schöne Pferd’,
Reiche Geschirr’ und Sättel haben;

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Wollte auch wie ein Türke traben,

Und bestellt auf abends um Vier
Ein recht feurig arabisch Tier.
Ziehet sich an im höchsten Staat,
Rotem Rock, mit Gold auf der Naht,

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Schwärzt den Bart um Wange und Maul

Und steigt Punkt vier Uhr auf den Gaul.
Drauf, als er reitet durch das Thor,
Kam es den Türken komisch vor,
Hatten noch keinen Reiter gesehn

20
Wie den englischen Kapitän;

Die Knie’ hatt’ er hinaufgezogen
Und seinen Rücken krumm gebogen,
Die Brust mit den Tressen eingedrückt,
Auch den Kopf tief herabgebückt,

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Saß zu Pferd wie ein armer Schneider.

Doch der Schiffskapitän ritt weiter,
Glaubte getrost die Türken lachen
Aus lauter Bewundrung in ihrer Sprachen.
So ritt er bis zum großen Platz,

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Da macht der Araber einen Satz

Und steigt; der englische Kapitän
Ergreift des Arabers lange Mähn’,
Gibt ihm verzweiflungsvoll die Sporen
Und schreit ihm auf Englisch in die Ohren;

35
Das Roß den Reiter nicht verstand,

Setzt wieder und wirft ihn in den Sand.
Die Türken den Rotrock sehr beklagen,
Haben ihn auch zu Schiff getragen,

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 14–15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_030.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)