Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke | |
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Wenn sich durch frisches Blättergrün
Die Sonne in dem Strome badet;
Der Winzer steigt vom Berge nieder,
Und in des kühlen Strandes Ruh’
Erwachen ihre Kräfte wieder;
Am Neckarstrand ruht’ ich so gerne,
Der Abend senket seinen Strahl,
Die Herden ziehen von den Weiden,
Und fernhin durch das holde Thal
Die Dörfer zu der Ruhe läuten;
Den Wiesenplan heraufgezogen;
Es wölbt für sie am grünen Strand
Der Lindengang die hohen Bogen;
Doch jenen Linden fehlt das eine,
Aufgeht des Mondes Silberstrahl,
Er malt den Berg mit falbem Glanze,
Er ruft die Geister in das Thal,
Er leuchtet ihrem Reigentanze;
Du Thal, am Strome auf und nieder,
Du wärst so hold, du wärst so mild,
Dir weiht’ ich meine frohsten Lieder –
Du wärst so schön im Abendscheine
An die Freiheit.
1823.
Was mir so leise einst die Brust durchbebte,
Als ich zuerst zum Jüngling war erwacht,
Was sich so hold in meine Träume webte,
Ein lieblich Bild aus mancher Frühlingsnacht;
Was dann, zur lichten Flamme angefacht,
Mit kühner Ahnung meine Seele füllte –
Es wären nur der Täuschung Luftgebilde?
Was ich geschaut im großen Buch der Zeiten,
Was ich erkannt, wenn ich die Sternenweiten
Der Schöpfung mit dem trunknen Auge maß,
Was ich gefühlt bei meines Volkes Leiden,
Wenn sinnend ich am stillen Hügel saß –
Es war kein Traumbild eitler Phantasien!
Du, stille Nacht, und du, o meine Laute!
Nur euch, ihr Trauten, hab’ ich es gesagt;
Ertönt’s noch einmal, was ich euch vertraute,
O sagt’s ihm, was ich fühlte, was ich schaute,
Und was mein ahnend Herz zu hoffen wagt:
O Freiheit, Freiheit! dich hab’ ich gesungen,
Und meiner Ahnung Lied hat dir geklungen!
Der Abendschein am Horizont zerrinnt,
Doch du, o Freiheit, spielst um meine Wangen,
Stiegst du hernieder mit dem Abendwind?
Nach dir, nach dir ringt heißer mein Verlangen,
O weile hier, wirf ab die Adlerflügel!
Du schweigst? du meidest ewig Deutschlands Hügel?
Wohl lange ist’s, seit du so gerne wohntest
Bei unsern Ahnen in dem düstern Hain;
Vom eis’gen Belt bis an den alten Rhein?
Mit Eichenkränzen deine Söhne lohntest?
Das schöne Land soll ganz vergessen sein?
Noch denkst du fein; es wird dich wiedersehen,
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 24–25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_035.jpg&oldid=- (Version vom 3.12.2022)