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Flecke, wo er, dem fleißigen Bergmanne gleich, nach ergiebigern Adern schürfte, die aber freilich nicht immer zu Tage liegen, und die weder ein Dichter immer findet, noch ein Rezensent nachweisen kann. Die Scenen, wo Ulrich selbst erscheint, sind unstreitig die besten; der Moment, wo er am Ende des 2. Teils auf Lichtenstein die Kunde vom Verrate der Tübinger Ritter empfängt, streift an eine höhere Region. Gut sind die Partien in Ulm, auch die Scene in der Schenke; es steht nur alles zu fragmentarisch da. Am eigentümlichsten und lebendigsten aber bleibt der Aufenthalt in dem Hause des Pfeifers von Hardt. Die Liebe der hübschen, schwäbischen Bäuerin ist von weit höherem Interesse und größerer Wahrheit, als die des Helden zur schönen Erbin von Lichtenstein, wie es denn überhaupt kein glücklicher Ausweg gewesen, diesem Verhältnis beider mehr negativen als positiven Gestalten einen größeren Raum zu schenken … Nicht unbeachtet dürfen auch die Versuche des Verfassers bleiben, die deutschen Dialekte in einen deutschen Roman einzuführen. Die Schwäbin, der Österreicher und der Magdeburger scheinen ganz verschiedene Sprachen zu reden; das ist aber fast zu viel für einen deutschen Roman, was der Verfasser auch selbst mag eingesehen haben, als er die Reden der Schwäbin in das Schriftdeutsch übersetzte[1] … Auch wäre eine mehre Ründung, eine bessere Verschlingung der Begebenheiten hier zu wünschen gewesen, wo mehr die Facta, als die Gewalt großartiger Leidenschaften und einer Natur, die als Natur schon Bewunderung erregt, das Interesse ausmachen. Doch das ist ein Fehler, der an sich nur relativ, bei einem fleißigen Studium, wie wir es dem Verfasser vollkommen zutrauen, in spätern Arbeiten mehr und mehr verschwinden wird; daß er seinen Romanen eine künstliche Verschürzung zu geben weiß, davon zeigt sein ‚Mann im Monde‘ … Sonst können wir das Urteil fällen, daß der ‚Lichtenstein‘ ein Roman ist, der sich vorteilhaft unter der Mehrzahl der neuern auszeichnet und des Beifalls unserer Lesewelt in ungleich höherem Grade als so viele Romane und Novellen der Tageslitteratur würdig ist.“

In einer Besprechung geschichtlicher Romane im „Litteraturblatt“ Nr. 101 vom 19. Dezember 1826 heißt es: „In dieser Gattung (die an bekannte Weltbegebenheiten anknüpft) begründete ein geistreicher Erzähler, W. Hauff, seinen ‚Lichtenstein‘ … und zeigt dadurch, daß er auch noch etwas Edleres, Vollendeteres geben kann, als die Papiere [41] des Satans. Vermißt man hie und da darin auch noch jene Tiefe, die sich nur dann uns aufthut, wenn der Dichter alle Saiten des inneren Lebens zu berühren versteht, und fühlen wir uns trotz allem Heroismus der stillen Größe und der leidenschaftlichen Aufregung doch nicht immer ganz befriedigt: so beurkundet doch dieser immer kräftiger hervortretende Dichter ungemeines Talent für Darstellung, und selbst der gewagte Versuch, in W. Scotts Manier verschiedene deutsche Mundarten einzuführen, verdient Achtung, auch wohl kluge Nachahmung, wenn er auch noch nicht ganz gelungen wäre.“

Wir führen nun noch einige nach Hauffs Tode in Nekrologen eingeflochtene Kritiken über „Lichtenstein“ an. Im „Neuen Nekrolog der Deutschen“, Bd. 5, 1827, und, damit wörtlich übereinstimmend, in Nr. 3 der „Blätter für litterarische Unterhaltung“ vom 3. Januar 1828 wird gesagt:

„Obgleich unter allen Werken Hauffs der ‚Lichtenstein‘ vielleicht die meisten Spuren von Unvollkommenheit und Flüchtigkeit an sich trägt und vor allen eine Jugendarbeit genannt werden muß, so gewann er doch durch die Wahl des geschichtlichen Stoffes, durch die Anlegung des Ganzen, durch die gemütlich kräftige Individualisierung einzelner Nebenpersonen großes Interesse, und Hauff hat sich dadurch als vaterländischer Dichter die Liebe, ja die Begeisterung seiner Landsleute erworben.“

Gustav Schwab, der erste Herausgeber der Gesamtwerke des Dichters, äußert sich in den „Zeitgenossen. Ein biographisches Magazin für die Geschichte unserer Zeit“, 3. Reihe, 1. Band 1829, zum Teil sehr treffend in folgender Weise:

„Im strengen Studium seiner Charaktere und in deren psychologischer Behandlung ist Hauff allerdings hinter seinem Vorbilde zurückgeblieben: der Herzog Ulrich ist nicht in seiner ganzen Persönlichkeit aufgefaßt, das Barbarische seines Charakters ist oft ohne Not gemildert und hat hier und da moderner Zartheit Platz machen müssen, die an ihm ganz unstatthaft ist; im Namen seines Helden, des blutarmen und obscuren Junkers von Sturmfeder hatte sich der Dichter auf eine sehr unscottische Weise vergriffen, denn die Sturmfeder sind ein uraltes, sehr angesehenes, sehr reiches Adelsgeschlecht. Schlimmer als dieser kleine Fehlgriff ist die auch innerlich unbedeutende Gestalt dieses Helden, sowie die gänzlich modernen und alltäglichen Charaktere der Frauen, die sich aus dem ‚Mann im Mond‘ hierher verirrt zu haben scheinen … Ach in seinem ‚Lichtenstein‘ sind ihm die geistigen Physiognomien des Volks und des Bürgerstandes ganz besonders gelungen; Hans der


  1. Dies geschah wohl nicht aus dem Grunde, sondern aus dem Glauben Hauffs, daß man in Norddeutschland den schwäbischen Dialekt weniger verstehen würde
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 40–41. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_043.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)