Seite:De Wilhelm Hauff Bd 1 045.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

wie die Stauffen[1], die Herzoge von Teck[2], die Grafen von Zollern, um seine Wiege gelagert waren; wenn man die inneren und äußeren Stürme bedenkt, die es durchzogen und oft selbst seinen Namen aus den Annalen der Geschichte zu vertilgen drohten.

Gab es ja doch sogar eine Zeit, wo der Stamm seiner Beherrscher auf ewig aus den Hallen ihrer Väter verdrängt schien, wo sein unglücklicher Herzog aus seinen Grenzen fliehen und in drückender Verbannung leben mußte, wo fremde Herren in seinen Burgen hausten, fremde Söldner das Land bewachten, und wenig fehlte, daß Württemberg aufhörte zu sein, jene blühenden Fluren zerrissen und eine Beute für viele oder eine Provinz des Hauses Österreich wurde.

Unter den vielen Sagen, die von ihrem Lande und der Geschichte ihrer Väter im Munde der Schwaben leben, ist wohl keine von so hohem, romantischem Interesse als die, welche sich an die Kämpfe der eben erwähnten Zeit, an das wunderbare Schicksal jenes unglücklichen Fürsten knüpft. Wir haben versucht, sie wiederzugeben, wie man sie auf den Höhen von Lichtenstein und an den Ufern des Neckars erzählen hört, wir haben es gewagt, auch auf die Gefahr hin, verkannt zu werden. Man wird uns nämlich entgegenhalten, daß sich der Charakter Ulerichs von Württemberg[Hauff 1][3] nicht dazu eigne, in einem historischen Romane mit milden Farben wiedergegeben zu werden; man hat ihn vielfach angefeindet, manches Auge hat sich sogar daran gewöhnt, wenn es die lange Bilderreihe der Herzoge Württembergs mustert, mit scheuem Blick vom ältern Eberhard auf Christoph[Hauff 2] überzuspringen, als seie das Unglück eines Landes nur allein in seinem Herrscher zu suchen, oder als seie es verdienstlich, das Auge mit Abscheu zu wenden von den Tagen der Not.

Und doch möchte es die Frage sein, ob man nicht in Beurteilung [45] dieses Fürsten nur seinem erbittertsten Feinde Ulerich von Hutten[4] nachbetet, der, um wenig zu sagen, hier allzusehr Partei ist, um als leidenschaftloser Zeuge gelten zu können; die Stimmen aber, die der Herzog und seine Freunde erhoben, hat der rauschende Strom der Zeit übertäubt, sie haben die zugleich anklagende und richtende Beredsamkeit seines Feindes, jene donnernde Philippica in ducem Ulericum nicht überdauert.

Wir haben fast alle gleichzeitige Schriftsteller, die Stimmen eines längstvergangenen, vielbewegten Jahrhunderts, gewissenhaft verglichen und fanden keinen, der ihn geradehin verdammt. Und wenn man bedenkt, welch gewaltigen Einfluß Zeit und Umgebungen auf den Sterblichen auszuüben pflegen, wenn man bedenkt, daß Ulerich von Württemberg unter der Vormundschaft schlechter Räte aufwuchs, die ihn zum Bösen anleiten, um ihn nachher zu mißbrauchen, wenn man sich erinnert, daß er in einem Alter die Zügel der Regierung in die Hände bekam, wo der Knabe kaum zum Jüngling reif ist, so muß man wenigstens die erhabenen Seiten seines Charakters, hohe Seelenstärke und einen Mut, der nie zu unterdrücken ist, bewundern, sollte man es auch nicht über sich vermögen, die Härten damit zu mildern, die in seiner Geschichte das Auge beleidigen.

Das Jahr 1519, in welches unsere Sage fällt, hat über ihn entschieden, denn es ist der Anfang seines langen Unglückes. Doch darf die Nachwelt sagen, es war der Anfang seines Glückes; war ja doch jene lange Verbannung ein läuterndes Feuer, woraus er weise und kräftiger als je hervorging; es war der Anfang seines Glückes, denn seine späteren Regentenjahre wird jeder Württemberger segnen, der die religiöse Umwälzung, die dieser Fürst in seinem Vaterlande bewerkstelligte, für ein Glück ansieht.

In jenem Jahre war alles auf die Spitze gestellt. Der Aufruhr des armen Konrad[5] war sechs Jahre früher mit Mühe


  1. Die Besitzungen dieses mächtigen deutschen Fürstengeschlechtes fielen nach Konradins Tode (1268) an Bayern, Baden und Württemberg.
  2. Das Herzogtum Teck in Schwaben war Ende des 14. Jahrhunderts teils durch Kauf, teils durch Eroberung an Württemberg gekommen; 1493 wurden die Herzöge von Württemberg vom Kaiser förmlich mit dessen Titel und Wappen belehnt.
  3. Die eingeklammerten Ziffern beziehen sich auf die am Schluß dieses ersten Teiles abgedruckten Anmerkungen Hauffs.
  4. Ulrich von Hutten (1488–1523), der bekannte Verteidiger geistiger Freiheit, schrieb 1517 mehrere sehr heftige Briefe und Reden („Deploratio“, „Phalarismus“, „5 orationes“) gegen den Herzog.
  5. 1503 hatte sich im Württembergischen eine Verbindung der Bauern gebildet, die unter dem Namen „der arme Konrad“ die drückenden Lasten ihres Standes mit Güte oder Gewalt abzuwerfen suchten. Der Name sollte von einem lustigen [46] Gesellen der Brüderschaft herstammen, der zwischen seiner Lage und seinem Namen Konrad die Wechselbeziehung „den Armen koan-Roth“ (d. h. den Armen kein Rat), wie der Württemberger sagt, aufgestellt hatte; doch wird diese Ableitung bezweifelt. Herzog Ulrich hatte 1514 den Bauern Abstellung ihrer Beschwerden zugesichert, überfiel die Leichtgläubigen jedoch plötzlich und zerstreute die Schar mit seinem Kriegsvolke.

Anmerkungen (Hauff)

  1. [165] Ulrich von Württemberg (geb. 1487) wurde 1498 in seinem eilften Jahre als Herzog belehnt mit einer Mitregentschaft, welche in seinem sechzehnten Jahr aufgehoben wurde und Ulerich von 1503 an allein regierte. Er starb im Jahr 1550.
  2. [165] Es ist hier Eberhard im Bart gemeint, der (geb. 1445, gest. 1496) sehr weise regierte. Er war der erste Herzog von Württemberg. Christoph (geb. 1515, gest. 1568), ein Fürst, dessen Andenken nicht nur in Württemberg, sondern in ganz Teutschland gesegnet wird. Er ist der Stifter der württembergischen Konstitution.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 44–45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_045.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)