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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

„Behaltet Eure Bemerkungen für Euch, Herr Württemberger“, entgegnete ihm die Kleine, indem sie lächelnd mit den Finger drohte, „Ihr wißt, daß die Ulmer Mädchen gut bündisch sind!“

Der Oheim aber, ohne sich irre machen zu lassen, fuhr fort: „Jener dort auf dem Schimmel ist Truchseß Waldburg, der Feldleutenant[Hauff 1], dem auch etwas von unserem Württemberg wohl anstünde; dort hinter ihm kommen die Bundesobersten; weiß Gott, sie sehen aus wie Wölfe, die nach Beute gehen.“

„Pfui! verwitterte Gestalten!“ bemerkte Bertha, „ob es wohl auch der Mühe wert war, Bäschen Marie, daß wir uns so putzten? Aber siehe da, wer ist der junge schwarze Reiter auf dem Braunen? sieh nur das bleiche Gesicht und die feurigen schwarzen Augen! Auf seinem Schilde steht, „Ich hab’s gewagt.‘“

„Das ist der Ritter Ulerich von Hutten“, erwiderte der Alte, „dem Gott seine Schmähworte gegen unsern Herzog verzeihen wolle. Kinder! das ist ein gelehrter, frommer Herr; er ist zwar des Herzogs bitterster Feind, aber ich sage so, denn was wahr ist, muß wahr bleiben[Hauff 2]!

Und siehe, da sind Sickingens[Hauff 3] Farben, wahrhaftig, da ist er selbst; schaut hin, Mädchen, das ist Franz von Sickingen, sie sagen, er führe tausend Reiter in das Feld, der ist’s mit dem blanken Harnisch und der roten Feder.“

„Aber sagt mir, Oheim“, fragte Bertha wieder, „welches ist denn Götz von Berlichingen, von dem uns Vetter Kraft so viel erzählt; er ist ein gewaltiger Mann und hat eine Faust von Eisen; reitet er nicht mit den Städten?“

„Götz und die Städtler nenne nie in einem Atem“, sprach der Alte mit Ernst; „er hält zu Württemberg[Hauff 4].“

Ein großer Teil des Zuges war während diesem Gespräch am Fenster vorübergezogen, und mit Verwunderung hatte Bertha bemerkt, wie gleichgültig und teilnahmslos ihre Base Marie hinabschaue. Es war zwar sonst des Mädchens Art, sinnend, zuweilen wohl auch träumend auszusehen, aber heute, bei einem so glänzenden Aufzug so ganz ohne Teilnahme zu sein, deuchte ihr ein großes Unrecht. Sie wollte sie eben zur Rede stellen, als ein Geräusch von der Straße her ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. [55] Ein mächtiges Roß bäumte sich in der Mitte der Straße unter ihrem Fenster, wahrscheinlich scheue gemacht durch die flatternden Fahnen der Zünfte. Sein hoch zurückgeworfener Kopf verdeckte den Reiter, so daß nur die wehenden Federn des Baretts sichtbar waren; aber die Gewandtheit und Kraft, mit welcher er das Pferd herunterriß und zum Stehen brachte, ließ einen jungen, mutigen Reiter ahnen. Das lange, hellbraune Haar war ihm von der Anstrengung über das Gesicht herabgefallen, als er es zurückschlug, traf sein Blick das Erkerfenster.

„Nun, dies ist doch einmal ein hübscher Herr“, flüsterte die Blonde ihrer Nachbarin zu, so heimlich, so leise, als fürchte sie von dem schönen Reiter gehört zu werden, „und wie er artig und höflich ist! Siehe nur, er hat uns gegrüßt, ohne uns zu kennen!“

Aber das stille Bäschen Marie schien der Kleinen nicht viel Aufmerksamkeit zu schenken; ein glühendes Rot zog über die zarten Wangen. Ja! wer die ernste Jungfrau gesehen hatte, wie sie so kalt auf den Zug hinabsah, hätte wohl nie geahnet, daß so viel holde Freundlichkeit um diesen Mund, so viel Liebe in diesem sinnenden Auge wohnen könnte, als in jenem Augenblick sichtbar wurde, wo sie durch ein leichtes Neigen des Hauptes den Gruß des jungen Reiters erwiderte.

Der kleinen Schwätzerin war unsere flüchtige, aber wahre Bemerkung über dem Anblick des schönen Mannes völlig entgangen; „Nur schnell, Oheim“, rief sie und zog den alten Herrn am Mantel, „wer ist dieser in der hellblauen Binde mit Silber? Nun?“

„Ja, liebes Kind“, antwortete der Oheim, „den habe ich in meinem Leben nicht gesehen. Seinen Farben nach steht er in keinem besonderen Dienst, sondern reitet wohl auf seine eigene Faust gegen meinen Herzog und Herrn, wie so viele Hungerleider, die sich an unseren Töpfen laben wollen.“

„Mit Euch ist doch nichts anzufangen“, sagte die Kleine und wandte sich unmutig ab; „die alten und gelehrten Herren kennet Ihr alle auf hundert Schritte und weiter; wenn man aber einmal nach einem hübschen, höflichen Junker fragt, wißt Ihr nichts. Du bist auch so, Marie, machtest Augen auf den Zug hinunter,

Anmerkungen (Hauff)

  1. [167] So nennt ihn Sattler, Geschichte der Herzoge II, 8.
  2. [167] Ulerich von Hutten (geb. 1488) starb 1523 in Ufnau am Zürcher See. Er ist berühmt durch eine große Anzahl Schriften und als kühner Beförderer der Reformation. Er griff Ulerich von Württemberg in Gedichten, Briefen und Reden an, die der gelehrte Nicolaus Barbatus zu Marburg in sehr geläufigem Latein mit triftigen Gründen widerlegt. Vgl. Schardius II, 385. Bekannt ist sein Wahlspruch: „Jacta alea esto.“
  3. [167] Franz von Sickingen, ein berühmter Zeitgenosse des letzteren; er wird in diesem Krieg von Sattler als österreichischer Rat aufgeführt.
  4. [167] Götz von Berlichingen erzählt in seinem Leben (Ausgabe von Franck von Steigerwald, Nürnberg 1731) weitläuftig, wie es sich zugetragen, daß er zum Herzog Ulerich gehalten habe. Seite 142 fährt er fort: „Da zog der Herzog vor Reutlingen und gewann es auch, darum sich auch Ihre fürstliche Gnaden und mein Unglück anheben that, daß Ihre fürstliche Gnaden verjagt worden, und ich darob zu Scheitern ging“. Denn der Schwäbische Bund nahm nicht Rücksicht darauf, daß Götz kurz vorher dem Herzog seine Dienste aufgesagt hatte, sondern belagerte ihn in Meckmühl und nahm ihn gefangen.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 54–55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_050.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)