Seite:De Wilhelm Hauff Bd 1 052.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

denn es stand nicht zu erwarten, daß man Ulerich, nachdem man so weit gegangen, friedliche Vorschläge thun werde.

Hiezu kamen noch die besonderen Rücksichten, die jeden leiteten. Der Herzog von Bayern, um seiner Schwester Sabina Genugthuung zu verschaffen, die Schar der Huttischen um ihren Stammesvetter zu rächen, Dieterich von Spät[Hauff 1] und seine Gesellen, um ihre Schmach in Württembergs Unglück abzuwaschen, die Städte und Städtchen, um Reutlingen wieder gut bündisch zu machen, sie alle hatten ihre Banner entrollt und sich mit blutigen Gedanken und lüstern nach gewisser Beute eingestellt.

Bei weitem friedlicher und fröhlicher waren bei diesem Einzug die Gesinnungen Georgs von Sturmfeder, jenes „artigen Reiters“, der Berthas Neugierde in so hohem Grade erweckt, dessen unerwartete Erscheinung Mariens Wangen mit so tiefem Rot gefärbt hatte. Wußte er doch kaum selbst, wie er zu diesem Feldzug kam, da er, obgleich den Waffen nicht fremd, doch nicht zunächst für das Waffenwerk bestimmt war. Aus einem armen, aber angesehenen Stamme Frankens entsprossen, war er, frühe verwaist, von einem Bruder seines Vaters erzogen worden. Schon damals hatte man angefangen, gelehrte Bildung als einen Schmuck des Adels zu schätzen. Daher wählte sein Oheim für ihn diese Laufbahn. Die Sage erzählt nicht, ob er auf der hohen Schule in Tübingen, die damals in ihrem ersten Erblühen war[1], in Wissenschaften viel gethan. Es kam nur die Nachricht bis auf uns, daß er einem Fräulein von Lichtenstein, die bei einer Muhme in jener Musenstadt lebte, wärmere Teilnahme schenkte als den Lehrstühlen der berühmtesten Doktoren. Man erzählt sich auch, daß das Fräulein mit ernstem, beinahe männlichem Geiste alle Künste, womit andere ihr Herz bestürmten, gering geachtet habe. Zwar kannte man schon damals alle jene Kriegslisten, ein hartes Herz zu erobern, und die Jünger der alten Tubinga hatten ihren Ovid vielleicht besser studiert als die heutigen, es sollen aber weder nächtliche Liebesklagen noch fürchterliche Schlachten und Kämpfe um ihren Besitz die Jungfrau erweicht haben. Nur einem [59] gelang es, dieses Herz für sich zu gewinnen, und dieser eine war Georg. Sie haben zwar, wie es stille Liebe zu thun pflegt, niemand gesagt, wann und wo ihnen der erste Strahl des Verständnisses aufging, und wir sind weit entfernt, uns in dieses süße Geheimnis der ersten Liebe eindrängen zu wollen oder gar Dinge zu erzählen, die wir geschichtlich nicht belegen können; doch können wir mit Grund annehmen, daß sie schon bis zu jenem Grad der Liebe gediehen waren, wo man, gedrängt von äußeren Verhältnissen, gleichsam als Trost für das Scheiden ewige Treue schwört; denn als die Muhme in Tübingen das Zeitliche gesegnete und Herr von Lichtenstein sein Töchterlein zu sich holen ließ, um sie nach Ulm, wo ihm eine Schwester verheiratet war, zu weiterer Ausbildung zu schicken, da merkte Rose, Mariens alte Zofe, daß so heiße Thränen und die Sehnsucht, mit welcher Maria noch einmal und immer wieder aus der Sänfte zurücksah, nicht den bergigten Straßen, denen sie Valet sagen mußten, allein gelte.

Bald darauf langte auch ein Sendschreiben an Georg an, worin ihm sein Oheim die Frage beibrachte, ob er jetzt nach vier Jahren noch nicht gelehrt genug sei? Dieser Ruf kam ihm erwünscht; seit Mariens Abreise waren ihm die Lehrstühle der gelehrten Doktoren, die finstere Hügelstadt, ja selbst das liebliche Thal des Neckars verhaßt geworden. Mit neuer Kraft erfrischte ihn die kalte Luft, die ihm von den Bergen entgegenströmte, als er an einem schönen Morgen des Februar aus den Thoren Tübingens seiner Heimat entgegenritt, wie die Sehnen seiner Arme in dem frischen Morgen sich straffer anzogen; wie die Muskeln seiner Faust kräftiger in die Zügel faßten, so erhob sich auch seine Seele zu jenem frischen heiteren Mute, der diesem Alter so eigen ist, wenn die Gewißheit eines süßen Glückes im Herzen lebt und vor dem Auge, das Erfahrung noch nicht geschärft, Unglück noch nicht getrübt hat, die Zukunft heiter und freundlich sich ausbreitet. Wie der klare See, der das heitere Bild, das auf ihn herabschaut, nicht minder freundlich zurückwirft und mit diesen reizenden Farben seine Tiefe verhüllt, so hat gerade das Ungewisse dieser Zukunft seinen eigentümlichen Reiz. Man glaubt im Kopf und Arm Kraft genug zu tragen, um dem Glück seine Gunst abzuringen,


  1. Die Universität wurde 1477 gestiftet

Anmerkungen (Hauff)

  1. [167] Die Herren von Spät waren der Herzogin auf ihrer Flucht aus dem Lande behülflich gewesen. Der Herzog hatte bittere Rache an ihren Gütern genommen.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 58–59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_052.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)