Seite:De Wilhelm Hauff Bd 1 057.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

– ehe er noch auf die schrecklichen Töne antworten konnte, begann an seiner andern Seite ein kleiner Mann mit einer hohen dünnen Stimme:

„So esset doch und trinket satt,
Was der Magistrat Euch vorgesetzt hat.“

„Hab’ ich’s doch schon lange gedacht, daß es so kommen würde“, fiel der alte Breitenstein ein, indem er ein wenig von der Anstrengung, mit welcher er den Rehziemer bearbeitet hatte, ausruhte.

„Da sitzt er und schwatzt, statt die köstlichen Braten zu genießen, die uns die Herren in so reichlicher Fülle vorgesetzt haben.“

„Mit Verlaub“, unterbrach ihn Dieterich von Kraft, „der junge Herr ißt nichts, er ist ein Zechbruder und trefflicher Weinschmecker; hab’ ich’s nicht gleich weg gehabt, daß er gerne zu tief ins Glas guckt? Darum tadle ihn keiner, wenn er sich lieber an den Uhlbacher hält.“

Georg wußte gar nicht, wie er zu dieser sonderbaren Schutzrede kam; er war im Begriff, sich zu entschuldigen, als ihn ein neuer Anblick überraschte. Breitenstein hatte sich jetzt über den Schweinskopf mit der Zitrone im Maul erbarmt, hatte die Zitrone geschickt aus dem Rachen des Tieres operiert, und begann mit großem Behagen und geübter Hand die weitere Sektion vorzunehmen; da trat der Bürgermeister auch zu ihm, und eben, als er an einem guten Bissen kaute, hub er an: „Warum eßt Ihr denn nicht, warum trinkt Ihr denn nicht?“ Dieser sah den Nötigenden mit starren Blicken an, zum Reden hatten seine Sprachorgane keine Zeit. Er nickte daher mit dem Haupte und deutete auf die Reste des Rehziemers; der kleine Mann mit der Fistelstimme ließ sich aber nicht irre machen, sondern sprach freundschaftlichst:

„So esset doch und trinket satt,
Was der Magistrat Euch vorgesetzt hat.“

So war es nun in den „guten alten Zeiten!“ Man konnte sich wenigstens nicht beklagen, nur zu einem Schauessen geladen [69] worden zu sein. Bald aber bekam die Tafel eine andere Gestalt. Die großen Schüsseln und Platten wurden abgetragen und geräumigere Humpen, größere Kannen, gefüllt mit edlem Weine, aufgesetzt. Die Umtränke und das in Schwaben schon damals sehr häufige Zutrinken begann, und nicht lange, so äußerte auch der Wein seine Wirkungen. Dieterich Spät und seine Gesellen sangen Spottlieder auf Herzog Ulerich und bekräftigten jeden Fluch oder schlechten Witz, den einer ausbrachte, mit Gelächter oder einem guten Trunke. Die fränkischen Ritter würfelten um die Güter des Herzogs und tranken einander das Tübinger Schloß im Weine ab. Ulerich von Hutten und einige seiner Freunde hielten in lateinischer Sprache eine laute Kontroverse mit einigen Italienern wegen des Angriffs auf den römischen Stuhl, den kurz zuvor ein unberühmter Mönch in Wittenberg unternommen hatte; die Nürnberger, Augsburger und einige Ulmer Herren, die sich zusammengethan hatten, waren über den Glanz ihrer Republiken in Streit geraten, und so füllte Gelächter, Gesang, Zanken und der dumpfe Klang der silbernen und zinnernen Becher den Saal.

Nur am obern Ende der Tafel herrschte anständigere, ruhigere Fröhlichkeit. Dort saßen Georg von Frondsberg, der alte Ludwig Hutten, Waldburg Truchseß, Franz von Sickingen und noch andre ältliche, gesetzte Herren.

Dorthin wandte jetzt auch der Bundeshauptmann Hans von Breitenstein, nachdem er sich genugsam gesättiget hatte, seine Blicke und sprach zu Georg: „Das Lärmen um uns her will mir gar nicht behagen; wie wäre es, wenn ich Euch jetzt dem Frondsberger vorstellte, wie Ihr in den letzten Tagen gewünscht habt?“

Georg, dessen Wunsch schon lange war, dem Kriegsobersten bekannt zu werden, stand freudig auf, um dem alten Freunde zu folgen. Wir werden ihn nicht tadeln, daß sein Herz bei diesem Gange ängstlicher pochte, seine Wangen sich höher färbten, seine Schritte, je näher er kam, ungewisser und zögernder wurden. Wen haben nicht in seiner Jugend, wenn er einem glänzenden, ruhmbekränzten Vorbild nahte, ähnliche Gefühle bestürmt? Wem sank da nicht sein eigenes Ich zur Unbedeutendheit zusammen,

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 68–69. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_057.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)