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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

während der Gefeierte zum Riesen wuchs. Georg von Frondsberg galt schon damals für einen der berühmtesten Feldherren seiner Zeit. Italien, Frankreich und Deutschland erzählten von seinen Siegen, und die Kriegskunst wird ihn ewig in ihren Annalen nennen, denn er war der Stifter und Gründer eines geordneten, in Reihen und Gliedern fechtenden Fußvolkes. Sagen und Chroniken erhielten das Bild dieses Helden bis auf unsere Tage, und wer gedenkt nicht unwillkürlich jener Homerischen Helden, wenn er von diesem Manne liest: „Er war so stark an Gliedern, wenn er den Mittelfinger der rechten Hand ausstreckte, daß er damit den stärksten Mann, so sich steif stellte, vom Platz stoßen, ein rennendes Pferd beim Zaum ergreifen und stellen, die großen Büchsen und Mauerbrecher allein von einem Ort zum andern führen konnte?“ Zu ihm führte Breitenstein den Jüngling.

„Wen bringt Ihr uns da, Hans?“ rief Georg von Frondsberg, indem er den hochgewachsenen, schönen, jungen Mann mit Teilnahme betrachtete.

„Seht ihn Euch einmal recht an, werter Herr“, antwortete Breitenstein, „ob Euch nicht beifällt, in welches Haus er gehören mag?“

Aufmerksamer betrachtete ihn der Feldhauptmann, auch der alte Truchseß von Waldburg wandte prüfend sein Auge herüber. Georg war schüchtern und blöde vor diese Männer getreten; aber sei es, daß die freundliche, zutrauliche Weise Frondsbergs ihm Mut machte, sei es, daß er fühlte, wie wichtig der Augenblick für ihn sei, er bekämpfte die Scham, den Blicken so vieler berühmter Männer ausgesetzt zu sein, und sah ihnen entschlossen und mutig ins Gesicht.

„Jetzt, an diesem Blick erkenne ich dich“, sagte Frondsberg und bot ihm die Hand, „du bist ein Sturmfeder?“

„Georg Sturmfeder“, antwortete der junge Mann, „mein Vater war Burkhardt Sturmfeder, er fiel, wie man mir sagte, in Italien an Eurer Seite.“

„Er war ein tapferer Mann“, sprach der Feldhauptmann, dessen Auge immer noch sinnend auf Georgs Zügen ruhte, „an manchem warmen Schlachttag hat er treu zu mir gehalten, wahrlich, [71] sie haben ihn allzufrühe eingescharrt! Und du“, setzte er freundlicher hinzu, „du hast dich eingestellt, um seiner Spur zu folgen? Was treibt dich schon so frühe aus dem Neste und bist kaum flick[1]?“

„Ich weiß schon“, unterbrach ihn Waldburg mit rauher, unangenehmer Stimme, „das Vögelein will sich ein paar Flöckchen Wolle suchen, um das alte Nest zu flicken!“

Diese rohe Anspielung auf die verfallene Burg seiner Ahnen jagte eine hohe Glut auf die Wangen des Jünglings. Er hatte sich nie seiner Dürftigkeit geschämt, aber dieses Wort klang so höhnend, daß er sich zum ersten Male dem reichen Spötter gegenüber recht arm fühlte. Da fiel sein Blick über Truchseß Waldburg hin durch die Scheiben auf jenes wohlbekannte Erkerfenster; er glaubte Mariens Gestalt zu erblicken, und sein alter Mut kehrte wieder. „Ein jeder Kampf hat seinen Preis, Herr Ritter“, sagte er, „ich habe dem Bund Kopf und Arm angetragen; was mich dazu treibt, kann Euch gleichgültig sein.“

„Nun, nun!“ erwiderte jener, „wie es mit dem Arm aussieht, werden wir sehen, im Kopfe muß es aber nicht so ganz hell sein, da Ihr aus Spaß gleich Ernst macht.“

Der gereizte Jüngling wollte wieder etwas darauf erwidern, Frondsberg aber nahm ihn freundlich bei der Hand: „Ganz wie dein Vater, lieber Junge, nun du willst zeitlich zu einer Nessel werden[Hauff 1]. Und wir werden Leute brauchen, denen das Herz am rechten Flecke sitzt. Daß du dann nicht der letzte bist, darfst du gewiß sein.“

Diese wenigen Worte aus dem Munde eines durch Tapferkeit und Kriegskunst unter seinen Zeitgenossen hochberühmten Mannes übten so besänftigende Gewalt über Georg, daß er die Antwort, die ihm auf der Zunge schwebte, zurückdrängte und sich schweigend von der Tafel in ein Fenster zurückzog, teils um die Obersten nicht weiter zu stören, teils um sich genauer zu überzeugen, ob die flüchtige Erscheinung, die er vorhin gesehen, wirklich Marie gewesen sei.


  1. flügge.

Anmerkungen (Hauff)

  1. [166] Es sind dies Frondsbergs eigene Worte, die er zu Götz von Berlichingen sprach, und die dieser in seiner Geschichte (Seite 83) anführt.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 70–71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_058.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)