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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

sein Mühmchen noch nie so hübsch als in diesem Augenblicke geschienen hatte, drückte die weiche Hand fester, und Mariens ernsteres Bild verlor von Sekunde zu Sekunde an Gehalt, und die Wagschale der fröhlichen Bertha, die jetzt in holder Verschämtheit vor ihm saß, stieg hoch in den Augen des glücklichen Ratsschreibers.

Marie hatte indes schweigend das Gemach verlassen, und Bertha ergriff mit Freuden diese Gelegenheit, ein anderes Gespräch einzuleiten.

„Da geht sie nun wieder“, sagte sie und sah Marien nach, „und ich wollte darauf wetten, sie geht in ihre Kammer und weint. Ach, sie hat gestern wieder so heftig geweint, daß ich auch ganz traurig geworden bin.“

„Was hat sie nur?“ fragte Dieterich teilnehmend.

„Ich habe so wenig wie früher die Ursache ihrer Thränen erfahren“, fuhr Bertha fort, „ich habe gefragt und immer wieder gefragt, aber sie schüttelt dann nur den Kopf, als wenn ihr nicht zu helfen wäre; ‚der unselige Krieg!‘ war alles, was sie mir zur Antwort gab.“

„So ist der Alte noch immer entschlossen, mit ihr nach Lichtenstein zurückzugehen?“

„Jawohl“, war Berthas Antwort, „du hättest nur hören sollen, wie der alte Mann gestern beim Einzug auf die Bündischen schimpfte. Nun – er ist einmal seinem Herzog mit Leib und Seele ergeben, darum mag es ihm hingehen; aber sobald der Krieg erklärt ist, will er mit ihr abreisen.“

Herr Dieterich schien sehr nachdenklich zu werden; er stützte den Kopf auf die Hand und hörte seiner Muhme schweigend zu.

„Und denke“, fuhr diese fort, „da hat sie nun gestern nach dem Einritte der Bündischen so heftig geweint. Du weißt, sie war zwar vorher schon immer ernst und düster, und ich habe sie an manchem Morgen in Thränen gefunden; aber als habe schon dieser Einzug über das ganze Schicksal des Krieges entschieden, so untröstlich geberdete sie sich. Ich glaube, Ulm liegt ihr nicht so am Herzen, aber ich vermute“, setzte sie geheimnisvoll hinzu, „sie hat eine heimliche Liebe im Herzen.“

[83] „Ach freilich, ich habe es ja schon lange gemerkt“, seufzte Herr Dieterich, „aber was kann ich denn davor?“

„Du? was du davor kannst?“ lachte Bertha, auf deren Gesicht bei diesen Worten alle Trauer verschwunden war; „nein! du bist nicht schuld an ihrem Schmerz. Sie war schon so, ehe du sie nur mit einem Auge gesehen hast!“

Der ehrliche Ratsschreiber war sehr beschämt durch diese Versicherung. Er glaubte in seinem Herzen nicht anders, als der Abschied von ihm gehe der armen Marie so nahe, und fast schien ihr wehmütiges Bild in seinem wankelmütigen Herzen wieder das Übergewicht zu bekommen. Bertha aber ließ nicht ab, ihn mit seiner thörichten Vermutung zu höhnen, bis ihm auf einmal der Zweck seines Besuches wieder einfiel, den er während des Gespräches ganz aus den Augen verloren hatte. Sie sprang mit einem Schrei der Freude auf, als ihr der Vetter die Nachricht von dem Abendtanz mitteilte.

„Marie, Marie!“ rief sie in hellen Tönen, daß die Gerufene, bestürzt und irgend ein Unglück ahnend, herbeisprang. „Marie, ein Abendtanz auf dem Rathaus!“ rief ihr die beglückte Bertha schon unter der Thüre entgegen.

Auch diese schien freudig überrascht von dieser Nachricht. „Wann? Kommen die Fremden dazu?“ waren ihre schnellen Fragen, indem ein hohes Rot ihre Wangen färbte und aus dem ernsten Auge, das die kaum geweinten Thränen nicht verbergen konnte, ein Strahl der Freude drang.

Bertha und der Vetter waren erstaunt über den schnellen Wechsel von Schmerz und Freude, und der letztere konnte die Bemerkung nicht unterdrücken, daß Marie eine leidenschaftliche Tänzerin sein müsse. Doch wir glauben, er habe sich hierin nicht weniger geirrt, als wenn er Georg für einen Weinkenner hielt.

Als der Ratsschreiber sah, daß er jetzt, wo die Mädchen sich in eine wichtige Beratung über ihren Anzug verwickelten, eine überflüssige Rolle spielte, empfahl er sich, um seinen wichtigeren Geschäften nachzugehen. Er beeilte sich, seine Anordnungen zu treffen, und die hohen Gäste und die angesehensten Häuser zu laden. Überall erschien er als ein Bote des Heils, denn wie die

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 82–83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_064.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)