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Georg glaubte zu träumen; er ermannte sich, er horchte, er horchte wieder, aber es war keine Täuschung; schwere Tritte tönten im Gemach. Jetzt wurde das Feuer heller angeschürt; der ungewisse Schein der Flamme spielte um eine große, dunkle Gestalt; sie bewegte sich, der Weg vom Kamin zum Bette war gar nicht weit. Die Schritte kommen näher, das Leichentuch wird angefaßt und geschüttelt; Georg, von unabwendbarer Furcht befallen, drückt die Augen zu, aber als die Decke gerade neben seinem Haupte gefaßt wurde, als eine kalte, schwere Hand sich auf seine Stirne legte, da riß er sich los aus seiner Angst, er sprang auf und maß mit ungewissen Blicken jene dunkle Gestalt, die jetzt dicht vor ihm stand; hell flackerten die Flammen im Kamine, sie beleuchteten die wohlbekannten Züge Georgs von Frondsberg.

„Ihr seid es, Herr Feldhauptmann?“ rief Georg, indem er freier atmete und seinen Mantel zurecht richtete, um den Ritter nach Würde zu empfangen.

„Bleibt, bleibt“, sagte jener und drückte ihn sanft auf sein Lager nieder; „ich setze mich zu Euch auf das Bett und wir plaudern noch ein Halbstündchen, denn es ist auf allen Glocken erst neun Uhr, und in Ulm schläft noch niemand als dieser Sprudelkopf, dem man zur Abkühlung heute nacht recht hart gebettet hat.“ Er faßte Georgs Hand und setzte sich zu seinen Füßen auf das Bett.

„O, wie kann ich diese milde Nachsicht verdienen“, sprach Georg, „stehe ich nicht in Euern Augen als ein Undankbarer da, der Euer Wohlwollen zurückstößt, und was Ihr gütig für ihn angesponnen, mit rauher Hand zerreißt?“

„Nein, mein junger Freund“, antwortete der freundliche Mann, „du stehst vor meinen Augen als der echte Sohn deines Vaters; gerade so schnell fertig mit Lob und Tadel, mit Entschluß und Rede war er; daß er ein Ehrenmann dabei war, weiß ich wohl: aber ich weiß auch, wie unglücklich ihn sein schnelles Aufbrausen, sein Trotz, den er für Festigkeit ausgab, machten.“

„Aber saget selbst, edler Herr“, entgegnete Georg, „konnte ich heute anders handeln? Hatte mich nicht der Truchseß aufs äußerste gebracht?“

[139] „Du konntest anders handeln, wenn du die Weise und Art dieses Mannes beachtetest, welche sich dir letzthin schon kundgab. Auch hättest du denken können, daß Leute genug da waren, die dir kein Unrecht geschehen ließen. Du aber schüttetest das Kind mit dem Bade aus und liefst weg.“

„Das Alter soll kälter machen“, erwiderte der junge Mann, „aber in der Jugend hat man heißes Blut; ich kann alles ertragen, Härte und Strenge, wenn sie gerecht sind und meine Ehre nicht kränken. Aber kalter Spott, Hohn über das Unglück meines Hauses kann mich zum wütenden Wolf machen. Wie kann ein so hoher Mann nur Freude daran haben, einen so zu quälen?“

„Auf diese Art äußert sich immer sein Zorn“, belehrte ihn Frondsberg; „je kälter und schärfer er aber von außen ist, desto heißer kocht in ihm die Wut. Er war es, der auf den Gedanken kam, dich nach Tübingen zu senden, teils weil er sonst keinen wußte, teils auch, um dir das Unrecht, das er dir angethan, wieder gut zu machen. Denn in seinem Sinne war diese Sendung höchst ehrenvoll. Du aber hast ihn durch deine Weigerung gekränkt und vor dem Kriegsrat beschämt.“

„Wie?“ rief Georg, „der Truchseß hat mich vorgeschlagen? So kam also jene Sendung nicht von Euch?“

„Nein“, gab ihm der Feldhauptmann mit geheimnisvollem Lächeln zur Antwort. „Nein, ich habe ihm sogar mit aller Mühe abgeraten, dich zu senden, aber es half nichts, denn die wahren Gründe konnte ich ihm doch nicht sagen. Ich wußte, ehe du eintratst, daß du dich weigern würdest, dies Amt anzunehmen. – Nun, reiße doch die Augen nicht so auf, als wolltest du mir durch das lederne Koller ins Herz hineinschauen. Ich weiß allerlei Geschichten von meinem jungen Trotzkopf da!“

Georg schlug verwirrt die Augen nieder. „So kamen Euch die Gründe nicht genügend vor, die ich angab?“ sagte er; „was wollt Ihr denn so Geheimnisvolles von mir wissen?“

„Geheimnisvoll? Nun so gar geheimnisvoll ist es gerade nicht, denn merke für die Zukunft: wenn man nicht verraten sein will, so muß man weder bei Abendtänzen sich gebärden wie einer, der von Sankt Veits-Tanz befallen ist, noch nachmittags um drei Uhr

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 138–139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_092.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)