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Schauplatz des Krieges sich zu entfernen, in eine Gegend zu reisen, wohin sich der Krieg notwendig ziehen mußte. Doch als er bedachte, wie mild die Bundesobersten selbst seinen Abfall angesehen hatten, wie sie sogar im Fall seines völligen Übertrittes zum Feinde nur vierzehn Tage Frist angesetzt hatten, als ihm Mariens trauernde Miene, ihre stille Sehnsucht auf ihrem einsamen Lichtenstein vorschwebte, da neigte sich die Schale nach Württemberg.

„Noch einmal will ich sie sehen, nur noch einmal sie sprechen“, dachte er. – „Nun wohlan“, rief er endlich, „wenn du mir versprichst, daß nie davon die Rede sein soll, mich an die Württemberger anzuschließen, daß ich nicht als Anhänger Eures Herzogs, sondern als Gast in Lichtenstein behandelt werde, wenn du dies versprichst, so will ich folgen.“

„Für mich kann ich dies wohl versprechen“, antwortete der Bauer, „aber wie kann ich etwas geloben für den Ritter von Lichtenstein?“

„Ich weiß, wie du mit ihm stehst, und daß du oft zu ihm nach Ulm kamst und er sein Vertrauen in dich setzt; so gut du ihm geheime Botschaft aller Art bringen konntest, nicht minder kannst du ihm auch dies beibringen!“

Der Pfeifer von Hardt sah den jungen Mann lange staunend an. „Woher wißt Ihr dies?“ rief er, – „doch – die, welche mich verfolgten, können auch dies gesagt haben. Nun gut, ich verspreche Euch, daß Ihr überall so angesehen sein sollt, als Ihr wollet; besteiget Euer Roß, ich will Euch führen, und Ihr sollt willkommen sein auf Lichtenstein!“




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XIII.


 „Da spricht der arme Hirte: ‚Des mag noch werden Rat,
 Ich weiß geheime Wege, die noch kein Mensch betrat,
 Kein Mensch mag sie ersteigen, nur Geißen klettern dort,
 Wollt Ihr sogleich mir folgen, ich bring’ Euch sicher fort.‘“
 L. Uhland.[1]


Von jenem Bergrücken, wo Georg den Entschluß gefaßt hatte, seinem geheimnisvollen Führer zu folgen, gab es zwei Wege in die Gegend von Reutlingen, wo Mariens Bergschloß, der Lichtenstein, lag. Der eine war die offene Heerstraße, welche von Ulm nach Tübingen führt. Sie führte durch das schöne Blauthal, bis man bei Blaubeuren wieder an den Fuß der Alb kam, von da quer über dieses Gebirge, vorbei an der Feste Hohen-Urach, gegen St. Johann und Pfullingen hin. Dieser Weg war sonst für Reisende, die Pferde, Sänften oder Wagen mit sich führten, der bequemere. In jenen Tagen aber, wo Georg mit dem Pfeifer von Hardt über das Gebirge zog, war es nicht ratsam, ihn zu wählen. Die Bundestruppen hatten schon Blaubeuren besetzt, ihre Posten dehnten sich über die ganze Straße bis gegen Urach hin, und verfuhren gegen jeden, der nicht zum Heer gehörte oder zu ihnen sich bekannte, mit großer Strenge und Erbitterung. Georg hatte seine Gründe, diese Straße nicht zu wählen, und sein Führer war zu sehr auf seine eigene Sicherheit bedacht, als daß er dem jungen Mann von diesem Entschluß abgeraten hätte.

Der andere Weg, eigentlich ein Fußpfad und nur den Bewohnern des Landes genau bekannt, berührte auf einer Strecke von beinahe zwölf Stunden nur einige einzeln stehende Höfe, zog sich durch dichte Wälder und Gebirgsschluchten und hatte, wenn er auch hie und da, um die Landstraße zu vermeiden, einen Bogen machte und für Pferde ermüdend und oft beinahe unzugänglich war, doch den großen Vorteil der Sicherheit.

Diesen Pfad wählte der Bauer von Hardt, und der Junker willigte mit Freuden ein, weil er hoffen durfte, hier auf keine


  1. Zwölfte Strophe des Gedichtes „Graf Eberhard der Rauschebart. 1) Der Überfall im Wildbad.“
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 150–151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_098.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)