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Jetzt sind ihre Türme zerfallen, ihre stattlichen Thore sind gebrochen, den tiefen Burggraben füllen Trümmer und Moos, und die Hallen, in welchen sonst laute Freude erscholl, sind verstummt, aber damals, als Georg auf dem Felsen von Beuren stand, ragten sie noch fest und herrlich; sie breiteten sich wie eine undurchbrochene Schar gewaltiger Männer zwischen den Heldengestalten von Staufen und Hohenzollern aus.

„Ein herrliches Land, dieses Württemberg“, rief Georg, indem sein Auge von Hügel zu Hügel schweifte; „wie kühn, wie erhaben diese Gipfel und Bergwände, diese Felsen und ihre Burgen; und wenn ich mich dorthin wende gegen die Thäler des Neckars, wie lieblich jene sanften Hügel, jene Berge mit Obst und Wein besetzt, jene fruchtbaren Thäler mit schönen Bächen und Flüssen, dazu ein milder Himmel und ein guter, kräftiger Schlag von Menschen.“

„Ja“, fiel der Bauer ein, „es ist ein schönes Land; doch hier oben will es noch nicht viel sagen, aber was so unter Stuttgart ist, das wahre Unterland, Herr! da ist es eine Freude im Sommer oder Herbst, am Neckar hinab zu wandeln; wie da die Felder so schön und reich stehen, wie der Weinstock so dicht und grün die Berge überzieht, und wie Nachen und Flöße den Neckar hinauf- und hinabfahren, wie die Leute so fröhlich an der Arbeit sind und die schönen Mädchen singen wie die jungen Lerchen!“

„Wohl sind jene Thäler an der Rems und dem Neckar schöner“, entgegnete Georg, „aber auch dieses Thal zu unsern Füßen, auch diese Höhen um uns her haben eigenen, stillen Reiz; wie heißen jene Burgen auf den Hügeln? sage, wie heißen jene fernen Berge?“

Der Bauer überblickte sinnend die Gegend und zeigte auf die hinterste Bergwand, die dem Auge kaum noch sichtbar aus den Nebeln ragte. „Dort hinten zwischen Morgen und Mittag ist der Roßberg, in gleicher Richtung herwärts, jene vielen Felsenzacken sind die Höhen von Urach. Dort, mehr gegen Abend, ist Achalm, nicht weit davon, doch könnt Ihr ihn hier nicht sehen, liegt der Felsen von Lichtenstein.“

„Dort also“, sagte Georg stille vor sich hin, und sein Auge [159] tauchte tief in die Nebel des Abends, „dort, wo jenes Wölkchen in der Abendröte schwebt, dort schlägt ein treues Herz für mich; jetzt auch steht sie vielleicht auf der Zinne ihres Felsens und sieht herüber in diese Welt von Bergen, vielleicht nach diesem Felsen hin. O, daß die Abendlüfte dir meine Grüße brächten und jene rosigen Wolken dir meine Nähe verkündeten!“

„Weiterhin, Ihr sehet doch jene scharfe Ecke, das ist die Teck; unsere Herzoge nennen sich Herzoge von Teck, es ist eine gute feste Burg. Wendet Eure Blicke hier zur Rechten, jener hohe, steile Berg war einst die Wohnung berühmter Kaiser, es ist Hohenstaufen.“

„Aber wie heißt jene Burg, die hier zunächst aus der Tiefe emporsteigt“, fragte der junge Mann; „sieh nur, wie sich die Sonne an ihren hellen, weißen Wänden spiegelt, wie ihre Zinnen in goldenen Duft zu tauchen scheinen, wie ihre Türme in rötlichem Lichte erglänzen.“

„Das ist Neuffen, Herr! auch eine starke Feste, die dem Bunde zu schaffen machen wird.“

Die Sonne des kurzen, schönen Märztages begann während diesem Zwiegespräch der Wanderer hinabzusinken. Die Schatten des Abends rollten dunkle Schleier über das Gebirge und verhüllten dem Auge die ferneren Gipfel und Höhen. Der Mond kam bleich herauf und überschaute sein nächtliches Gebiet. Nur die hohen Mauern und Türme von Neuffen rötete die Sonne noch mit ihren letzten Strahlen, als sei dieser Felsen ihr Liebling, von welchem sie ungern scheide. Sie sank, auch diese Mauern hüllten sich in Dunkel, und durch die Wälder zog die Nachtluft, geheimnisvolle Grüße flüsternd dem heller strahlenden Mond entgegen.

„Jetzt ist die wahre Tageszeit für Diebe und für flüchtige Reisende wie wir“, sagte der Bauer, als er des Junkers Pferd aufzäumte; „sei es noch um eine Stunde, so ist die Nacht kohlschwarz, und dann soll uns, bis die Sonne wieder aufgeht, kein bündischer Reiter ausspüren!“

„Glaubst du, es habe Gefahr?“ sagte Georg, indem er seine Hand nach dem Helm ausstreckte und das dünne Barett abnahm. „Meinst du nicht, wir sollen uns besser wappnen?“

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 158–159. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_102.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)