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hören, sondern zahlte den Lohn nicht aus, bis der Nagel eingeschlagen sei.

Da zogen sie alle wieder in die Burg, die wildesten Bursche vermaßen sich hoch und teuer, es sei ihnen ein Geringes, den Nagel einzuschlagen, wenn sie aber an das oberste Fenster kamen und hinausschauten in die Luft und hinab in das Thal, das so tief unter ihnen lag, und ringsum nichts als Felsen, da schüttelten sie den Kopf und zogen beschämt ab. Da boten die Meister zehnfachen Lohn, wer den Nagel einschlage, und es fand sich lange keiner.

Nun war ein flinker Schlossergeselle dabei, der hatte die Tochter seines Meisters lieb und sie ihn auch, aber der Vater war ein harter Mann und wollte sie ihm nicht zum Weib geben, weil er arm war. Der faßte sich ein Herz und gedachte, er könne hier seinen Schatz verdienen oder sterben; denn das Leben war ihm verleidet ohne sie. Er trat vor den Meister, ihren Vater, und sprach: ‚Gebt Ihr mir Eure Tochter, wenn ich den Nagel einschlage?‘ Der aber gedachte seiner auf diese Art los zu werden, wenn er auf die Felsen hinabstürze und den Hals breche, und sagte ja.

Der flinke Schlossergeselle nahm den Nagel und seinen Hammer, sprach ein frommes Gebet und schickte sich an, zum Fenster hinauszusteigen und den Nagel einzuschlagen für sein Mädchen. Da erhob sich ein Freudengeschrei unter den Bauleuten, daß der Riese vom Schlaf aufwachte und fragte, was es gebe. Und als er hörte, daß sich einer gefunden habe, der den Nagel einschlagen wolle, kam er, betrachtete den jungen Schlosser lange und sagte: ‚Du bist ein braver Kerl und hast mehr Herz als das Lumpengesindel da; komm, ich will dir helfen.‘ Da nahm er ihn beim Genick, daß es allen durch Mark und Bein ging, hob ihn zum Fenster hinaus in die Luft und sagte: ‚Jetzt hau drauf zu; ich lasse dich nicht fallen.‘

Und der Knecht schlug den Nagel in den Stein, daß er fest saß; der Riese aber küßte und streichelte ihn, daß er beinahe ums Leben kam, führte ihn zum Schlossermeister und sprach: ‚Diesem gibst du dein Töchterlein.‘ Dann ging er hinüber in seine Höhle, langte einen Geldsack heraus und zahlte jeden aus bei Heller und Pfennig. Endlich kam er auch an den flinken Schlossergesellen; [163] zu diesem sagte er: ‚Jetzt gehe heim, du herzhafter Bursche, hole deines Meisters Töchterlein und ziehe ein in diese Burg, denn sie ist dein.‘

Des freuten sich alle; der Schlosser ging heim und –“

„Horch! hörtest du nicht das Wiehern von Rossen?“ rief Georg, dem es in der Schlucht, die sie durchzogen, ganz unheimlich wurde. Der Mond schien noch hell, die Schatten der Eichen bewegten sich, es rauschte im Gebüsch, und oft wollte es ihm bedünken, als sehe er dunkle Gestalten im Wald neben ihm hergehen.

Der Pfeifer von Hardt blieb stehen, ungeduldig, daß ihn der Junker nicht bis zum Ende erzählen lasse: „Es kam mir vorhin auch so vor, aber es war der Wind, der in den Eichen ächzt, und der Schuhu rief im Gebüsch. Wären wir nur das Wiesenthal noch hinüber, da ist es so offen und hell, wie bei Tag; jenseits fängt wieder der Wald an, da ist es dann dunkel und hat keine Not mehr. Gebt Eurem Braunen die Sporen und reitet Trab über das Thal hin, ich laufe neben Euch her.“

„Warum denn jetzt auf einmal Trab“, fragte der junge Mann; „meinst du, es hat Gefahr? Gestehe nur, nicht wahr, du hast sie auch gesehen, die Gestalten im Wald, die neben uns herschlichen. Glaubst du, es sind Bündische?“

„Nun ja“, flüsterte der Bauer, indem er sich umsah, „mir war es auch, als ob uns jemand nachschleiche; drum sputet Euch, daß wir aus dem verdammten Hohlweg herauskommen und dann im Trab über das Thal hinüber, weiterhin hat es keine Gefahr.“

Georg machte sein Schwert locker in der Scheide und nahm die Zügel seines Rosses kräftiger in die Faust. Schweigend zogen sie die Schlucht hinab, beleuchtet von so hellem Mondschein, daß der junge Mann jeden Zug seines Gefährten erkennen konnte und deutlich sah, daß er seine Axt auf die Schulter nahm und ein Messer, das er im Wams verborgen hatte, herausnahm und in den Gürtel steckte.

Sie wollten eben am Ausgang des Hohlweges in das Thal einbiegen, da rief eine Stimme im Gebüsch: „Das ist der Pfeifer von Hardt, drauf Gesellen, der dort auf dem Roß muß der Rechte sein.“

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 162–163. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_104.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)