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da lag; seine bleichen, noch im Kampf mit dem Tode so schönen Züge hatten sie oft angezogen, wie ein rührendes, erhabenes Bild den frommen Sinn einer Betenden anziehet; aber jetzt, sie fühlte es, jetzt war es was anderes. Die Augen waren wieder gefüllt von schönem, mutigem Feuer, es wollte „dem Bärbele auf den Zehen bedünken“, als habe sie, so alt sie geworden, noch gar keine solche gesehen. Das Haar lag nicht mehr in unordentlichen Strängen um die schöne Stirne; es fiel geordnet und reich in den Nacken hinab.

Seine Wangen hatten sich wieder gerötet, seine Lippen waren so frisch wie die Kirschen an Peter und Paul; und wie ihn das seidengestickte Wams gut kleidete und der breite, weiße Halskragen, den er über das Kleid herausgelegt hatte. Aber das konnte das Mädchen nicht ergründen, warum er wohl immer auf eine aus weiß und blauer Seide geflochtene Schärpe niedersah, so fest, so eifrig, als wären geheimnisvolle Zeichen eingewoben, die er zu entziffern bemüht sei. Ja, es kam ihr sogar vor, als drücke er die Feldbinde an das Herz, als führe er sie an die Lippen voll Andacht und Inbrunst, wie man Reliquien zu verehren pflegt.

Die runde Frau hatte indessen ihre Forschungen durch das Fensterlein vollendet. „’S ist a Herr wie na Prenz“, sagte sie, indem sie das Habermus umrührte; „was er a Wammes a hot; dia Herra z’ Stuagerd kennets et schöner hau. Was duet er no mit dem Fetza, won er in der Hand hot? Er gukta jo schier ausenander! Es ist, ka sei, a bisle Bluat na komma, daß ens verzirnt.“[Hauff 1]

„Noi sell isch et“, entgegnete Bärbele, die jetzt bequemer das Zimmer übersehen konnte; „aber wisseter Muater wia mers fürkommt? er macht so gar fuirige Auga druf na; sell ist gwiß ebbes von seim Schaz.“[Hauff 2]

[181] Die runde Frau konnte sich nicht enthalten, über die richtige Vermutung ihres Kindes etwas weniges zu lächeln, doch schnell nahm sie ihre mütterliche Würde wieder zusammen, indem sie entgegnete: „A, was woist du von Schäz! So na Kind wia du muaß gar an nix so denka. Gang jetzt weg vom Fensterle dort, lang mir sell Häfele her. Der Herr wird a fürnehms Fressa gwohnt sei, i muaß am a bisle viel Schmalz in da Brei dauh.“[Hauff 3]

Bärbele verließ etwas empfindlich das Fenster: sie wußte, daß sie ihrer Mutter nicht widersprechen dürfe, aber diesmal hatte sie offenbar unrecht. Ging nicht das Mädchen schon seit einem Jahr in den Lichtkarz[1], wo von den Mädchen des Dorfes über Schätzchen und Liebe viel gesprochen und gesungen wurde? Hatten nicht einige ihrer Gespielinnen, die wenige Wochen älter waren als sie, schon jede einen erklärten Schatz, und sie allein sollte nicht davon sprechen, nicht einmal etwas davon wissen dürfen? Nein, es war recht unbillig von der runden Frau, ihrem Töchterlein, das, wenn sie sich auf die Zehen stellte, der Mutter über die Schultern sehen konnte, solche Wissenschaft geradehin zu verbieten. Aber wie es zu geschehen pflegt: das Verbot reizt gewöhnlich zur Übertretung, und Bärbele nahm sich vor, nicht eher zu ruhen, als bis sie wisse, warum der junge Ritter mit so gar „fuirigen Augen“ auf seine Feldbinde hinschaue.

Das Frühstück des Junkers war indessen fertig geworden, es fehlte nichts mehr als ein Becher guten, alten Weines; auch dieser war bald herbeigebracht, denn der Pfeifer von Hardt war zwar ein geringer Mann, aber nicht so arm, daß er nicht für feierliche Gelegenheiten ein Fäßchen im Keller liegen hatte; das Mädchen trug den Wein und das Brot, und die runde Frau ging im vollen Sonntagsstaat, die Schüssel mit Habermus in beiden Fäusten, ihrem holden Töchterlein voran in die Stube.

  1. „Es ist ein Herr wie ein Prinz, welch ein Wams er an hat; die Herren in Stuttgart können es nicht schöner haben; was thut er nur mit dem Fleckchen, das er in der Hand hat? er sieht es ja beinahe auseinander. Vielleicht kam ein wenig Blut dorthin, und er ist darüber erzürnt.“
  2. „Nein, das ist es nicht! aber wißt Ihr, was ich denke? er macht so feurige Augen darauf hin, es ist gewiß etwas von seinem Mädchen.“
  3. „Was weißt du von einem Schatz; ein Kind wie du soll nichts dergleichen denken. Gehe jetzt weg vom Fenster, reiche mir das Töpfchen dort. Der Herr wird vornehm zu essen gewohnt sein, ich muß ihm ein wenig viel Schmalz in den Brei thun.“

  1. Lichtkarz (schwäbisch), d. h. Spinnstube.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 180–181. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_113.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)