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„Und wär’s so Nacht, daß mer da Weg mit de Händ greifa müeßt, und müeßet e laufa bis Lichtastoi, i wetts gern dauh, Er kommet jo no bälder zu –“,[Hauff 1] errötend schlug sie die Augen nieder, denn trieb sie auch ihr gutes Herz, sich zum Liebesboten des Ritters anzubieten, so schämte sie sich doch, jenes zarte Verhältnis, das ihr heute so klar wie noch nie zuvor einleuchtete, zu berühren.

„Und willst du mir zulieb gehen bis Lichtenstein, so wäre es ja thöricht von mir, zurückzubleiben und erst deinen Vater zu erwarten. Ich sattle geschwind mein Roß und reite neben dir her, und du zeigst mir den Weg, bis ich ihn nicht mehr verfehlen kann!“

Das Mädchen von Hardt schlug die Augen nieder und spielte mit dem langen Zopfband; „aber es wird jo scho enera Stund Nacht“,[Hauff 2] flüsterte sie kaum hörbar.

„Ei, was schadet das, dann bin ich um den Hahnenschrei in Lichtenstein“, antwortete Georg, „du wolltest dich ja vorhin selbst bei Nacht und Nebel auf den Weg machen.“

„Ja, i wohl“, entgegnete Bärbele ohne aufzusehen, „aber Euch ist’s gwiß et gsund, wo ner erst krank gwä sent, so in der kühla Nacht en Weg von sechs Stund z’macha.“[Hauff 3]

„Das kann ich nicht beachten“, rief Georg, „und die Wunde ist ja geheilt, ich bin gesund wie zuvor; nein! rüste dich immer, gutes Kind, wir brechen sogleich auf, ich gehe mein Pferd zu satteln.“ Er nahm den Zaum von einem Nagel an der Wand, wo er aufgehängt war, und schritt zur Thüre.

„Herr! Euer Gnaden!“ rief ihm das Mädchen ängstlich nach; „lassets lieber geh. Gucket, ’s thuet se et, daß mer so selbander in der Nacht fortganget. D’Leut in Hardt send so gar wunderlich, [191] und mer thät mer gwiß ebbes ahänga, wenne –.[Hauff 4] Wartet lieber bis morga früh, so wille Ich meitwega führa bis Pfullinga.“

Der Junker ehrte die Gründe des guten Mädchens und hing schweigend den Zaum wieder an die Wand. Es möchte ihm freilich lieber gewesen sein, wenn die Leute von Hardt weniger geneigt waren, Böses zu denken; doch es war hier nichts zu thun, als sich schweigend in sein Schicksal zu ergeben. Er beschloß daher, diesen Abend und die folgende Nacht noch auf den Pfeifer zu warten; käme er nicht, so wollte er mit dem frühesten Morgen zu Pferd sein und unter Leitung seiner schönen Tochter nach Lichtenstein aufbrechen.





III.


 „Die linden Lüfte sind erwacht,
 Sie säuseln und weben Tag und Nacht,
 Sie schaffen an allen Enden,
 O frischer Duft, o neuer Klang!
 Nun, armes Herze, sei nicht bang!
 Nun muß sich alles, alles wenden.“
 L. Uhland.[1]


Aber der Pfeifer von Hardt kehrte auch in dieser Nacht nicht nach Haus zurück, und Georg, der seine Sehnsucht nach der Geliebten nicht mehr länger zügeln konnte, sattelte, als der Morgen graute, sein Pferd. Die runde Frau hatte nach einigen harten Kämpfen mit ihrem Töchterlein erlaubt, daß sie den Junker geleiten dürfe. Sie wußte zwar, daß ein so unerhörtes Ereignis viele Abende zur Unterhaltung in den Spinnstuben von Hardt dienen werde und sah es deswegen nicht ganz gerne. Wenn sie aber bedachte, wie viel ihrem Eheherrn an dem jungen Ritter gelegen

  1. „Und wäre es so Nacht, daß man den Weg mit den Händen greifen müßte, ich laufe bis Lichtenstein, ich wollte es gerne thun. Ihr kommet dann bälder zu –“
  2. „Es wird ja schon in einer Stunde Nacht!“
  3. „Ich wohl, aber Euch ist es gewiß nicht gesund, da Ihr kaum genesen seid, in einer kühlen Nacht den Weg von sechs Stunden zu machen.“
  4. „Lasset es doch! Es schickt sich nicht, daß wir zusammen in der Nacht fortgehen; die Leute in Hardt sind wunderlich, man könnt’ mir manches nachsagen, wenn ich –“

  1. Erste Strophe von Uhlands Lied „Frühlingsglaube“.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 190–191. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_118.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)