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Gewicht, vielleicht gar einen Ratsherrn. Er mochte auch eine bessere Sorte trinken als die übrigen, denn er schlürfte bedächtig, und wenn er mit dem Deckel an seinem Krug das Zeichen gab, daß er leer sei, that er dies mit einem gewissen Anstand und vernehmlicher als die übrigen. Er sah bei allem, was gesprochen wurde, überaus fein und listig aus, als wisse er noch manches, ohne es gerade hier preisgeben zu wollen. Auch hatte er das Vorrecht, das Kellnermädchen in die Wangen zu kneipen oder ihren runden Arm zu „tätscheln“, wenn sie ihm die gefüllte Kanne brachte.

Ein anderer Mann, der am entgegengesetzten Ende des Tisches saß, stach nicht minder gegen seine Umgebungen ab als der Fette; alles war an ihm länglich und hager. Sein Gesicht, von der Stirne bis zu dem langen, zugespitzten Kinn, maß wohl eine gute Mannesspanne; seine Finger, mit welchen er auf dem Tische den Takt eines Liedes spielte, das er leise vor sich hin pfiff, hatten etwas Spinnenartiges, und als sich Georg einmal zufällig bückte, gewahrte er zu seinem großen Erstaunen, daß der hagere Mann lange, dünne Beine beinahe unter dem ganzen Tisch hin ausgestreckt hatte. Er hatte um seine Nase etwas Hochfahrendes, das sich auch in der Art, wie er allem, was die Bürger vorbrachten, widersprach, ausdrückte; er sah aus wie einer, der viel mit vornehmen Herren umgegangen ist, ihre Art und Weise angenommen hat, aber doch nicht recht bequem damit zurecht kommt. Er konnte nicht aus dem Städtchen sein, denn er hatte die Wirtin nach seinem Pferd gefragt. Nach Georgs Mutmaßungen war er ein reisender Arzt, wie sie zu jener Zeit im Land umherzogen, um die Menschen künstlich umzubringen.

Der dritte Mann, der dem Gast im Erker auffiel, sah etwas zerrissen und zerlumpt aus; er hatte übrigens etwas Bewegliches, Listiges in seinem Wesen, das ihn von der gutmütigen, behaglichen Ruhe der Spießbürger merklich unterschied. Er hatte über dem einen Auge ein großes Pflaster, das andere aber blickte kühn und offen um sich. Ein großer Reisestock mit eiserner Spitze, der neben ihm lag, und sein lederbesetzter Rücken, worauf er gewöhnlich einen Korb oder eine Kiste tragen mochte, ließen schließen, daß [197] er entweder ein Bote sei, oder wahrscheinlicher noch einer jener herumziehenden Krämer, die auf Märkte und Kirchweihen, nebst wunderbaren Nachrichten aus fernen Landen für die Weiber wirksame Mittel gegen verhextes Vieh und für die Mädchen schöne bunte Bänder und Tücher bringen.

Diese drei waren es auch, die das Gespräch führten, das nur hin und wieder durch einen Ausruf der Verwunderung oder durch ein Klopfen mit den Krugdeckeln von den übrigen ehrsamen Bürgern unterbrochen wurde.

Diese Männer handelten übrigens eine Materie ab, die Georgs Interesse sehr in Anspruch nahm. Sie sprachen über die Unternehmungen des Bundes im württembergischen Unterland. Der Krämer mit dem ledernen Rücken hatte erzählt, daß Möckmühl, worin sich Götz von Berlichingen eingeschlossen, von den Bündischen erstürmt und jener tapfere Mann gefangen worden sei[Hauff 1].

Der Ratsherr hatte zu dieser Nachricht listig gelächelt und einen guten Zug von seiner besseren Sorte getrunken; der Hagere ließ aber den Lederrücken nicht aussprechen, er schlug den Takt mit den langen Fingern etwas vernehmlicher und sagte mit hohler Stimme: „Das ist erstunken und erlogen, Freund! seht, das ist gar nit möglich, denn der Berlingen versteht die schwarze Kunst und ist fest, das muß ich wissen; und überdies hat er allein mit seiner eisernen Hand in mancher Schlacht zweihundert Mann maustot geschlagen, was wird er sich denn fangen lassen?“

„Mit Verlaub“, unterbrach ihn der fette Herr, „dem ist nicht also, sondern Götz ist in der That gefangen und sitzt in Heilbronn. Aber nicht weil er erlegen ist, denn sein Schloß in Möckmühl ist nicht erstürmt worden, sondern die Bündischen haben ihm und den Seinigen freien Abzug versprochen; wie er aber aus dem Thor kam, wurde er überfallen, seine Knechte getötet und er gefangen[1]. Seht, das ist nicht recht, und da hat der Bund schändlich gehandelt.“

„Da muß ich doch bitten, Herr“, sprach der Lange, „daß man nicht also von den Bundesobersten spricht; ich kenne viele


  1. Götz wurde in der Nacht vom 10. zum 11. Mai bei einem Ausfall aus seinem Schloß Möckmühl verwundet und gefangen nach Heilbronn gebracht, wo man ihn erst 1522 wieder frei ließ.

Anmerkungen (Hauff)

  1. [297] Lebensbeschreibung Götzens von Berlichingen (von ihm selbst geschrieben), edit. Pistorius, Nürnberg 1731.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 196–197. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_121.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)